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„Könnt ihr euch unseren Haß nicht vorstellen?“

■ Diskussion über die Hintergründe der Randale vom 1. Mai in der Kirche der Ölberg-Gemeinde in Kreuzberg / Dialogversuch zwischen denen, die etwas zu verlieren haben, und denen, die nichts zu verlieren haben / Woher kommen die Aggressionen?

Seit die Kreuzberger Linke ihre teils stumme oder auch aktive Solidarität mit den Krawallen des 1. Mai aufgegeben hat, scheint der Dialog mit den autonomen Gruppen wieder möglich. Der bislang ausgemachte gemeinsame Feind, die Polizei, eignete sich bei den diesjährigen Krawallen nicht als Bezugspunkt. Man ist im Ausmachen von Ursachen und Anlässen unter sich. Das machte die Diskussion am Sonntag abend im Saal der Ölberg-Gemeinde in der Lausitzer Straße in SO 36 spannend. Mehr als 200 waren gekommen. In nahezu vier Stunden wurde zwar viel gebrüllt, man hörte sich aber ab und an auch zu.

Könnt ihr euch nicht vorstellen, daß wir einfach Haß haben“, antwortete einer der jungen Kämpfer auf die Frage, warum die Steine flogen in der Nacht.

Der Haß käme aus der Gesellschaft, erklärte er, aus der Familie, von der Wohnungsnot und der niedrigen Sozialhilfe. Daß die jungen Ausländer mitgemacht hätten, sei doch auch klar, die erlebten schließlich täglich den Rassismus. Das alles sei schließlich gleich geblieben, seit Rot-Grün an der Regierung ist, die Berechtigung für Randale folglich genauso vorhanden wie 1987. „Daß ihr euch wehrt, o.k.“, sagte eine Frau, wollte dann aber wissen, wie sie es Leuten erklären solle, daß dabei Privatautos in Brand gesteckt und Telefonhäuschen zerschlagen werden.

Du mußt das doch nicht rechtfertigen“, bekam sie zur Antwort, und dann noch eine Aufklärung über strukturelle Gewalt. Die Diskussion darüber, von wem die Gewalt bei den Krawallen am 1. Mai ausgegangen ist, sei verlogen, hieß es, weil schließlich die ganze Gesellschaft so strukturiert sei, daß überall Gewalt herrsche. „Ich finde es absolut daneben, daß Leute, die dick Kohle haben (Mieterberater, Verein SO 36 usw.) und in den Gewalthierarchien drin sitzen, hier über die Randale reden“, protestierte eine junge Frau. Und ein anderer fand es „absolut berechtigt“, wenn die Leute ihre Aggressionen rauslassen und es sich „einmal gut gehen lassen“. Da tat sich ein Generationskonflikt auf. „Die Hausbesetzer '81 haben dafür gekämpft, daß wir für die Mieterberatung Geld kriegen. Ich laß mir von euch nicht meine jahrelange Arbeit kaputtmachen“, machte der als „Integrierer“ und „Sozialfaschist“ Beschimpfte seinem Ärger Luft.

Birgit Arkenstette, Mitveranstalterin und Podiumsdiskutantin, forderte die politische Diskussion ein. „Ich will mit euch reden über das Konzept: 'Es gibt keine Alternative zur Revolution‘.“ Sie unterstellte, daß das Fest am 1. Mai am Lausitzer Platz „bewußt“ in diese Strategie eingebunden worden sei. Das, was erreicht worden sei mit der Randale, sei „sturzreaktionär“ und nütze nur den Republikanern.

„Dann sagt doch, daß euch ein paar Wohnungen mehr und der Kinderbauernhof scheißegal sind“, klagte sie die Diskussion über die AL-Reformpolitik ein. Auch Bernd Köppl, für die AL im Abgeordnetenhaus, wollte politisch diskutieren. Er verlangte von der anderen Seite, sie sollten ihre „bisherige Opposition jetzt in Regierungspolitik umsetzen“. Nicht mehr der „Kampf gegen das Schweinesystem“ sei jetzt gefragt, sondern der „Kampf für etwas“.

Doch viele sprachen denen, die in der Nacht die Steine geworfen haben, die politische Motivation ab. Peter Strieder, stellvertretender SPD-Kreisvorsitzender in Kreuzberg, sagte, es gebe genug Leute, die kein Interesse hätten am Bezirk und das zerschlügen, was andere in jahrelanger Arbeit aufgebaut hätten. Daran würden auch mehr Wohnungen und Arbeitsplätze nichts ändern.

Und Volker Härtig warnte ebenfalls vor den Reformversprechungen. Rot-Grün könne in Kreuzberg erstmal gar nichts ändern. Er nannte die Krawalle „reaktionär“, weil sie sich gegen den Stadtteil richteten, der es ohnehin am schwersten habe. Beifall bekam er dafür und genausoviele Pfiffe. „Hausbesitzer raus“, und „Verräterschwein“ waren noch die angenehmeren Zwischenrufe.

Einige der autonomen Kämpfer versuchten, die Fragen nach dem „Warum“ zu beantworten: „Ich kann auch nicht genau sagen, warum ich solche Aggressionen habe“, sagte einer und verwahrte sich dagegen, daß die Aktionen dieser Nacht „ziellos“ gewesen seien. „Es ging gegen Sex-Shops, Spielhallen und gegen die Bullen, und da sagt ihr das sei ziellos.“ Daß es auch innerhalb der Autonomen Diskussionen über die Randale gab und gibt, deutete sich nur vage an. „Wir wissen auch, daß da Fehler gelaufen sind, aber...“, und dann wurde mit der schlechten sozialen Lage, der Arbeitslosigkeit argumentiert.

Erst später und vereinzelt wurde die Verbrämung abgestreift. „Versucht es doch einfach mal, so zu nehmen“, erklärte ein Autonomer, wieso in der Mai-Nacht der Getränke -Markt geplündert wurde, „da gehen die Leute am Schaufenster vorbei und haben Durst und nehmen sich mal das, was sie sonst nie kriegen“. Und ein anderer: „Ich will in diesen Gewaltverhältnissen gar keine Arbeit, ich will in Ruhe gelassen werden.“

bf

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