: Runder Tisch regiert Rostock
■ Nach dem Rücktritt des OB Schleiff setzte der Runde Tisch Ch. Kleemann (Neues Forum) als Oberbürgermeister ein
Berlin (taz) - Am Ende ging alles doch sehr schnell: Nach wochenlangen Erklärungen hin und her und einer Demonstration am letzten Donnerstag „besetzte“ am Montag früh eine kleine Gruppe von Abgesandten des Runden Tisches mit Transparenten das Ratshaus und kündigten eine unbefristete Demonstration gegen den Oberbürgermeister Henning Schleiff an. Dem Oberbürgermeister der Ostseemetropole werden vor allem Amtsmißbrauch und übereilte Kapitulationsverhandlungen mit westdeutschen Firmen vorgeworfen. Die Sprecherin des Neuen Forums Dietlind Glüer erklärte: „Wir haben gehört, daß Herr Schleiff ausgerechnet jetzt vor den Kommunalwahlen in Urlaub gehen will.“ Er ist ersetzbar.
Am Nachmittag verkündete Schleiff seinen Rücktritt. Auch Bildungsschulrat Bendlin, der Personal aus dem „sensiblen“ Bereich, u.a. auch Stasi-Leute, zu Pädagogen in den Schulen machen wollte und damit die Welle des Protestes auslöste (vgl. taz 26.3., siehe auch S.6), mußte seinen Hut nehmen.
Am Dienstag morgen auf seiner ersten offiziellen Pressekonferenz konnte der neue Herr im Rataus nur ankündigen, daß er in den 6 Wochen bis zur Kommunalwahl für demokratische Transparenz sorgen will. Der Kontrollkommission des Runden Tisches, die nun mit 19 Personen im „Ratshaus sitzt und die Arbeit der verbleibenden Stadträte kontrollieren soll, ist ein wenig auch „ängstlich zumute“, erklärte eines ihrer Mitglieder, Frau Pulkemat. Denn „der Apparat, der hier funktioniert“, sei auch durch den Wechsel an der Spitze nicht schon erneuert. Immerhin haben die 17 Abteilungsleiter, die auf der Ebene unter den Stadträten die Verwaltung leiten, loyale Zusammenarbeit zugesagt.
Nach dem Rücktritt des OB hatte der Runde Tisch, der aus Protest gegen die Hinhalte-Taktik des Apparates seine Arbeit vorübergehend eingestellt hatte, sich wieder zusammengefunden. „Um 12 Uhr waren alle k.o.“, berichtet Frau Pulkemat, die Frage der genauen Kompetenz-Abgrenzung konnte nicht mehr beraten werden. Die Stadtverordneten -Versammlung, soviel ist allerdings klar, wird nicht mehr zusammenkommen - sie existiert faktisch nicht mehr. Die Verwaltung hat das Votum des Runden Tisches, daß jetzt Kleemann als OB amtieren soll, akzeptiert. Die Rolle des Stadtschulrates soll ein Team von vier Pädagogen übernehmen.
Neben der Hinhalte-Taktik in Sachen Lehrer-Einstellung hatten in den letzten Tagen auch Gerüchte über Geschäfte, die städtische Einrichtungen mit West-Firmen ohne demokratische Information getroffen hatten, den Unmut des Runden Tisches erregt. Etwa hat die Stadt eine Hamburger Firma Asbeck ermächigt, öffentliche Uhren in der Stadt aufzustellen. An diesen Uhren sind Werbeflächen, deren Einnahmen zu 100 Prozent dann der
West-Firma zufließen.Gerüchte über Verträge über Hotel- und Ladenketten will die Kommission des Runden Tisches überprüfen, wenn sie jetzt Zugang zu den Unterlagen bekommt.
K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen