: Der Fall 1990
■ Das britische Quintett „The Fall“ im „Modernes“
Seit nunmehr vierzehn Jahren und sechzehn Alben spielt Mr. Mark E.Smith aus Manchester Independent-Music jenseits gängiger Kategorien, und er hat Erfolg damit. Dabei kann er nicht einmal richtig singen, er sieht nicht gut aus und ist von schmächtiger Statur. Das ist nicht gerade das Bild eines Stars. Auf der Bühne des Modernes steht er hemdsärmelig mit einer Hand in der Hosentasche, die andere hält das Mikrophon. Um ihn herum schrammeln Gitarren schlichte Muster, die der blasse Mark rezitativ begleitet. In den vierzehn Jahren hat sich das kaum verändert, wenn von einer durchdachten Absicht überhaupt geredet werden kann. Und doch versprüht dieser kehlige Milchbubi eine besondere Faszination, die nur in der Musik begründet liegen kann, die Mr. Smith so zurückgenommen repräsentiert.
Musikalisch passiert nicht viel. Das Quintett (git, git, kb, dr, voc) The Fall klettert nicht hoch genug, um spürbar fallen zu können. Das Herunterbeten der Texte zum plärrenden Gitarrenrhythmus entwickelt jedoch eine spezifische Dynamik, die das Wipp-Zentrum der Hüften im Gehirn anspricht. Das vermochten „The Mighty Fall“, wie Radio-Impresario John Peel sie nennt, schon immer, das ist ihr Kick.
Im gutbesuchten Modernes war dies genauso. Der von seinen da
hingeleierten Sentenzen so fürchterlich überzeugte Herr Schmidt aus Engeland (er veröffentlicht sie gern in Broschüren) ließ es sich nicht nehmen, jeweils eine Frau in sein Ensemble aufzunehmen). Früher übernahm diese Alibirolle seine (Ex?-)Frau Brix, derzeit füllt sie Mrs. Maricia Schofield aus. Ohne der Dame Böses zu wollen, darf ihr künstlerischer Beitrag an den Tasten und im Vokalbereich verzichtbar bis störend genannt werden, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Bei der Dancefloor-Nummer „Hit the north“ etwa konnte auf die baßtragende Minimalfunktion der Keyboards allerdings nicht verzichtet werden.
Das Konzert wurde zunehmend lauter, woran der maschinengleich draufloskloppende Drummer Simon Wolstencroft erheblichen Anteil hatte. Die Bühnenpräsenz der Gruppe beschränkte sich auch bei der Zugabe auf ein fast erstarrtes Abspielen der Titel - positiv ausgedrückt: das Publikum durfte sich ganz auf's Zuhören konzentrieren. In den Instrumenten versunken beschallte The Fall den Saal mit einem perkussiven Hack-Sound, immer im ultraharten Vier -Viertel-Takt. Nach knapp anderthalb Stunden signalisierte ein mächtiges Gewummer das definitve Ende. Die MusikerInnen verließen peu a peu die Bühne - das war der Fall 1990.
Cool J.F
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen