■ ARTUR, BERLINOID: Wer jetzt kein Haus hat...
Wenn es irgend möglich ist, versucht Artur schweißtreibenden Aktionen aus dem Wege zu gehen, und er legt Wert darauf, erst nach Sonnenuntergang körperlich aktiv zu werden, so behauptet er jedenfalls.
Und wenn nun Bekannte, Freunde gar, alte Häuser restaurieren, dann steht das Schlimmste zu befürchten. Das kann panisch werden. Er hat die Stadt verlassen, um ein wenig Luft zu schöpfen, und zufällig, nun, vielleicht nicht ganz zufällig, kam er an einem Samstag bei ihnen vorbei. Möglicherweise, so hatte er sich gedacht, könnte es ja sein, daß sie am Wochenende mal Pause machten. Dicht hinterm Deich, zwischen riesigen Bäumen und mehr im Schatten als besonnt, entdeckte er das Reetdachhäuschen. Alles schien ruhig, dort, wo die Stadt ihren Namen verloren hat.
Als er die akribisch abgebeizte Haustür vorsichtig geöffnet hatte — denn niemand war auf sein Klopfen und Rufen eingegangen —, da verschlug es ihm fast den Atem. Ein Mann im Unterhemd, mit hochrotem Kopf und einer Schutzmaske vor dem Mund, tunkte wie ein Berserker einen Quast in einen Topf und bearbeitete mit verwegenen Streichbewegungen die hölzernen Stützen des Hauses. Beißender Geruch erfüllte das Halbdunkel. Nur kurz unterbrach er seine Tätigkeit, wischte mit dem Handrücken die schweißnasse Stirn und fixierte Artur mit einem durchtriebenen, unruhigen Blick aus Augen in der Farbe von Austern. Er rückte die Maske zurecht und wandte sich erneut seiner schwungvollen Tätigkeit zu, als von oben herab laut und hell »Hallo Artur, da bist du ja!« gerufen wurde. Eine zarte Gestalt hangelte sich durchs staubige Licht der Kate eine Leiter hinunter.
Artur war sprachlos. Ihre Haare hatte sie nach Trümmerfrauenart in grellbuntes Tuch geknotet, die Enden standen links und rechts ihrer Augen wie Hörner ab, und noch darüber trug sie die lädierte, aber durchaus als solche erkennbare Schirmmütze eines Briefträgers der Deutschen Bundespost. Ihren Oberkörper bedeckte ein viel zu enges blau-weiß-quergestreiftes Matrosenhemd, ergänzt durch ein überaus knapp bemessenes Slipchen aus blauem Frottee. An den Füßen trug sie Holzpantinen. Sie wäre gerade dabei, das Dachgebälk und das Reet zu säubern, und für derlei Arbeiten trüge sie stets diesen Aufzug, insbesondere das blaufrottene Höschen ihres alten Bikinis, den kenne Artur ja wohl noch.
Ob er nicht ein wenig mit Hand anlegen wolle, fragte sie ernsthaft, dann könne man schon ein wenig früher Kaffeepause machen. »Ach«, meinte Artur, rieb sich den Staub aus den Augen und hüstelte, »das treibt mir ja die Tränen in die Augen.« Er blickte sich noch einmal um, irgendwie doch irritiert, hob die Hand zum Gruße und setzte spröde hinzu: »Ich möchte lieber nicht.« Clemens Walter
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen