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ANC gibt Folter zu

Südafrika: ANC-Kommission beschuldigt Afrikanischen Nationalkongreß „unfaßbarer Brutalität“ in eigenen Gefangenenlagern/ Mandela übernimmt Verantwortung  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Mit „unfaßbarer Brutalität“ behandelte der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) in seinen Straflagern Gefangene, die als „Spione“ oder „Verräter“ galten. Folter und „außergewöhnlicher Machtmißbrauch“ waren in den achtziger Jahren in den Lagern an der Tagesordnung. Zu diesem Ergebnis kam eine Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen innerhalb des ANC, deren Bericht am Montag in Johannesburg veröffentlicht wurde.

Der ANC selbst hatte die Kommission einberufen, nachdem ehemalige Gefangene der Organisation, die beschuldigt wurden, Agenten der südafrikanischen Regierung zu sein, schwere Vorwürfe der Mißhandlung erhoben hatten. Am unterträglichsten war die Situation im Straflager Quatro in Angola: Dort wurden Häftlinge — ohne jemals eine Anhörung zu erhalten — jahrelang festgehalten, regelmäßig mißhandelt und gefoltert. Sie hatten nicht genügend Wasser und Lebensmittel. Aber auch die Zustände in den anderen ANC-Lagern in Tansania, Uganda und Sambia waren völlig inakzeptabel, heißt es in dem Bericht.

Die Gefangenen wurden unter Folter zu Geständnissen gezwungen, die oft vollkommen unglaubwürdig gewesen seien: So verwechselte ein Häftling unter der Tortur seinen Decknamen mit dem eines anderen und gestand, sich selbst ermordet zu haben. Ein zweiter bekannte sich des Mordes an Menschen, die immer noch leben. Andererseits beschuldigten Zeugen vor der Kommission ANC-Mitglieder, die zu der Zeit in Südafrika im Gefängnis saßen, Mißhandlungen begangen zu haben.

Kern des Problems, so die Kommission, sei „der außergewöhnliche Machtmißbrauch und der Mangel an Verantwortlichkeit“ der Sicherheitsabteilung des ANC gewesen. „Niemand war vor dem Sicherheitsapparat geschützt.“ Als verantwortlich wird einzig Mzwai Piliso namentlich genannt. Er war bis 1986 Leiter der Sicherheitsabteilung und noch bis 1991 Mitglied der ANC-Exekutive.

Die Kommission legt zehn Empfehlungen vor. Dazu zählt die Entschädigung der Opfer, die Bildung einer neuen unabhängigen Kommission, um Einzelfälle zu untersuchen, und die Bestrafung von ANC-Mitgliedern, die Übergriffe begangen haben. Einige von ihnen sind bis heute in der Sicherheitsabteilung des ANC tätig. Auch Vorwürfe, daß Menschen ermordet wurden und verschwanden, sollen weiter untersucht werden.

„ANC-Führer übernehmen letztlich Verantwortung“

Die ANC-Führung hat noch nicht im einzelnen auf die Empfehlungen der Kommission reagiert. „Als ANC-Führer übernehmen wir letztlich die Verantwortung“, sagte ANC-Präsident Nelson Mandela vor der Presse. Er betonte, daß die ANC-Exekutive die Konsequenzen noch besprechen und Vorwürfe gegen Einzelpersonen detailliert untersuchen müsse.

Die Unabhängigkeit der Kommission war von Kritikern des ANC in Frage gestellt worden, da zwei der drei Anwälte, die als Kommissare auftraten, Mitglieder des ANC sind. Andererseits wurden das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und die Menschenrechtsorganisation amnesty international eingeladen, Beobachter zu den Anhörungen der Kommission zu entsenden.

Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen sind dem ANC besonders peinlich. „Menschenrechte sind die Grundsteine der Freiheit“, sagte Mandela. „Die moralische Rechtfertigung unseres Freiheitskampfes hängt davon ab, daß wir die höchsten moralischen und ethischen Maßstäbe erfüllen.“

Verschiedene Organisationen, die den ANC immer wieder scharf angegriffen haben, haben eigene Untersuchungen der ANC-Übergriffe angekündigt. So hat die rechte „Internationale Freiheitsstiftung“ aus Washington schon eine eigene Untersuchung begonnen. Auch die konservative „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ in Frankfurt, die Dossiers über ANC-übergriffe zusammengestellt hat, akzeptierte die ANC-Untersuchung nicht.

ANC und Regierung streiten sich zur Zeit über ein geplantes Gesetz, das Agenten des Staates Straffreiheit garantieren soll für Verbrechen, die zur Verteidigung der Apartheid begangen wurden. Ein solches Gesetz soll noch diese Woche vom Parlament verabschiedet werden. Der ANC besteht darauf, daß nur eine Übergangsregierung, an der alle wichtigen Parteien beteiligt sind, eine solche Amnestie verkünden kann.

ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa forderte gleichzeitig die südafrikanische Regierung unter Präsident Frederick de Klerk auf, nun ebenfalls die Verbrechen, die von ihren Agenten begangen wurden, öffentlich zuzugeben. Außerdem fordert der ANC, daß die Namen der Agenten und die Verbrechen, die sie begangen haben, veröffentlicht werden. Die Regierung ist bereit, Namen zu veröffentlichen, ohne die genauen Verbrechen anzugeben.

Mandela hat in den vergangenen Monaten wiederholt zugegeben, daß der ANC gegen Menschenrechte verstoßen hatte. Damit versucht der ANC offenbar, die Fehler der heutigen Regierungspartei Swapo im benachbarten Namibia zu vermeiden. Während des Unabhängigkeitsprozesses in Namibia war die Rede von Mißhandlungen von Hunderten und der Ermordung von Dutzenden von Swapo-Dissidenten. Die Swapo-Führung wies die Vorwürfe zurück und verweigerte eine Untersuchung. Das schadet dem Image der Organisation bis heute und hat ihr in den ersten freien Wahlen in Namibia 1989 viele Stimmen gekostet.

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