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Wand und BodenAuf dem Comic-Trip

■ Kunst in Berlin jetzt: T.Ott, M.S.Bastian, Hanns Zischler und „Grün Berlin“

Die Freunde des malerischen Realismus hätten eine unangefochtene Bastion, so sie diese einnehmen wollten. Der soziale Realismus des Comic mit seiner narrativen Struktur steckt ein enormes Terrain ab, für alle denk- und visualisierbaren Mal- und Zeichengesten. Die in der Galerie Grober Unfug derzeit ausgestellten drei Schweizer Zeichner des Avantgarde-Comic-Magazins „Strapzin“ haben ganz deutlich die Geste des film noir geerbt. T.Ott, 27jähriger Züricher, schabt vom schwarzen Karton ausgesprochen schwarze Geschichten. Etwa vom Kind in Naziuniform, das Bär, Hase und Pinocchio den Judenstern und KZ-Kleidung verpaßt hat, um ihnen in typischer Kindermanier, aber ganz zeitgemäß ideologisiert die Augen auszustechen und den Bauch aufzuschlitzen. „Headbanger, a fucking war story“ zeigt einen Soldaten, der auf eine Mine getreten, im Moment der Explosion einen schwarzen Vogel sieht. In eine Frau verwandelt, läßt das Tier sich auf seinem Steifen nieder. Was Kriege richtig geil macht, ist allerdings eine viel schwärzere Geschichte. Tod und Sex nicht auf der Seite des Kämpfers, sondern auf der Seite der vergewaltigten Frau.

Für Comics wie für die Reportagefotografie gilt: es ist das publizierte Ergebnis, das zählt. Wieviel eine rauhe, rohe Oberfläche das Original der glatten Reproduktion voraus hat, zeigen die geklebten, heftig mit Tipp-Ex bearbeiteten Blätter von M.S. Bastian. Seine bunt collagierten Geschichten zitieren Picasso ebenso wie Vincent van Gogh, oder eine verhunzte Mickey Mouse als Alter ego des Künstlers. Die grelle Farbigkeit seiner Comics verdeckt keineswegs ihre film noir-Struktur des anwesend-unanwesende Unheils. Dunkle Schatten verschlucken die Angst vorm schwarzen Mann und singen doch seinen Jazz und Rap: „Samstagabend in Paris“ sehnt sich der Held nach der schwarzen Stadt New York. Crapez/Schuler zitieren ebenfalls gern, zumal aus Shakespeare, dessen Mord- und Totschlaggeschichten sie elegant-gemein auf den Punkt der Mafioso-Short- Story bringen, „Zwei-Zeilen-Zynismus“ wird ihnen zu Recht bescheinigt, und auch die Bilder zeigen keinen Strich, keine Schattierung zuviel.

Bis 14. Mai, Zossener Straße 32, Mo-Fr 11-18.30 Uhr, Sa 11-14 Uhr.

Ein Comicstrip als begleitende Foto-Ausstellung zu seiner Buchpublikation „Tagesreisen“ zeigt auch Hanns Zischler in den Räumen des Merve-Verlags. 17 aneinandergereihte Fotografien, „Tre donne di Siena, Siena, 5. Jan. 1985, 12.00-12.05 Uhr (Leica)“, bezeichnen gleichfalls das im Schatten Verborgene. Der Kamerablick, Umbos „Unheimliche Straße“ reflektierend, fällt senkrecht in die Tiefe einer engen, belebten Straßenschlucht. Man sieht die Brüstung eines Balkons, darunter Kästen mit Flaschen an die Hauswand gestellt, und das Gewimmel von etwa 22 Personen und ihren Schlagschatten. Die Suche nach den drei angesprochenen Frauen zeigt das fünf Minuten lang beobachtete Schattenspiel als verknäulte, verballte und wieder entzerrte Wucherung einer beweglichen Schwärze. Auf den Comic-Trip dieser letzten Lockerungen der Straße führen zwei an fünfter und sechster Stelle hängende Fotografien, die ein winziges Lastauto zeigen. Aus dem Nichts scheint es auf die Straße gefallen, anwesend für zwei Kameraauslöser, um dann ebenso „folgenlos“ verschunden zu sein.

Crellestraße 22, 2 Hof, 4. Stock, Info: 784 84 33

Der urbane Raum lebt nicht vom Stein allein, möchte man sagen, und der beste filmische Diskurs über Fotografie, das Geheimnis und die Stadt, Michaelangelo Antonionis „Blow Up“, spielt zu weiten Teilen in einem Londoner Park. Dagegen zeigt Grün Berlin in Zusammenarbeit mit der Galerie Aedes Gartenlust à la francaise, auch für die Stadt Berlin. Die Neugestaltung des Invalidenparks im Bezirk Mitte wird seit 1992 vom Pariser Gartenbauarchitekten Christophe Girot verantwortet. Anlaß zu zeigen, wie die aktuelle Praxis des französischen Garten- und Landschaftsarchitekten im dialektischen Spiel von kultivierter Natur und unnatürlicher Kultur ihre Signifikanz auf der Seite der „Geometrie der Stadt“ findet.

Die „Geographie der Natur“ wird gerne von Rastern rechtwinkliger Wege gekreuzt; die mathematische Kalkulierbarkeit und künstliche Ordnung der Parkanlagen verweist auf die technische Arbeitswelt und die industrielle Rationalität, die den heutigen Stadtraum prägen. Sie gibt sich aber auch als in der Tradition des strengen französischen Gartens stehend zu erkennen, wie er in Versailles sein programmatisches Bild gefunden hat. Der Entwurf für den Invalidenpark allerdings mischt französische Raster mit – in unseren Augen – englischer „freier Natur“; weite Ausblicke, Wiesenflächen und Lichtungen verbunden mit der kleinräumigen Geborgenheit von Baum- und Buschgruppen opponieren auch gegen die preußisch-militärische Tradition des Parks.

Seinen Mittelpunkt wird eine große Wasserfläche bilden, in der eine begehbare Kante wie eine aufsteigende Wand hineinragt. An seinem höchsten Punkt erhebt sich das Granitelement 3,20 Meter über die Wasseroberfläche. An seinem Ende versenkt es sich in die Erde und legt einen Teil der Fundamente der im Zweiten Weltkrieg zerstörten „Gnadenkirche“ frei. Die aufregendste und überzeugendste Umsetzung rationaler französischer Parkphilosophie scheint die Neugestaltung der Küstenlinie bei Saint-Valéry- en-Caux in der Normandie durch Jacques Coulon zu sein. Die (wegen der salzhaltigen Gischt) völlig pflanzenfreie Anlage zwischen zwei 60 Meter hochaufragenden Felsenwänden ist eine von paradoxer Schönheit gezeichnete Oase aus Beton.

Bis 30. April, Friedrich-List-Ufer 6, Mo-Fr 11-17 Uhr, Sa/So 12-18 Uhr.

Brigitte Werneburg

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