: Gefügige Kreatur für Dreckloch gesucht
■ Ein Erlebnisbericht: Auf welche Unverschämtheiten sich Menschen einzurichten haben, die in Berlin eine Wohnung suchen / Was ist schon schlimm daran, daß der Kot durch Flur und Küche schwappt
Berlin. „Es ist in Berlin bei Altbauwohnungen üblich, daß sie vermietet werden, auch wenn einige Fensterscheiben fehlen, Löcher in der Wand sind oder das Schloß der Wohnungstür defekt ist.“ So die Aussage eines Angestellten einer Hausverwaltung, bei der ich eigentlich einen Mietvertrag unterschreiben sollte, wenn da nicht...
Doch der Reihe nach: Anfang des Jahres 1993 bewarb ich mich bei der Hausverwaltung H. in der Potsdamer Straße um eine Wohnung. Drei Monate später, so schien es zumindest, hatte ich Glück: Der Hausverwalter bot mir eine Wohnung in Neukölln an und bat mich, die Hauswartsfrau anzurufen, die mir die im Parterre des Hinterhauses gelegene Zwei-Zimmer-Wohnung zeigen wollte.
Am darauffolgenden Tag sah ich dann die Behausung, die sich in einem ausgesprochen erbärmlichen Zustand befand. Nicht nur, daß die unbedingte Notwendigkeit bestand, alle Räume neu zu tapezieren oder zu streichen – was ich noch auf mich genommen hätte –, nein, es fehlten in einem Zimmer auch drei Fensterscheiben. Obwohl die Wohnung seit Anfang Januar leerstand, waren die Fenster, die, bei welcher Gelegenheit auch immer, zu Bruch gegangen waren, noch nicht wieder eingesetzt worden. In der Küchenwand klaffte ein großes Loch, hinter dem sich eine Wasserleitung befand. Obwohl die Vormieterin einige Male auf dieses Loch aufmerksam gemacht hatte, war es dennoch nicht vermörtelt worden. Die Türen zum Bad, zur Küche und zu einem der Zimmer fehlten, die Klingel funktionierte nicht. Der Verschlag des Schlosses zur Wohnungstür war verbogen, weil seitlich aufgestemmt.
Soweit die Mängelliste, die ich bei dieser Wohnungsbesichtigung aufstellte. Allen Ernstes wird niemand behaupten wollen, daß es sich um eine bezugsfertige Wohnung handelt.
Am Montag der darauffolgenden Woche wollte ich den Mietvertrag unterschreiben, da mir die Hausverwaltung durch Herrn H. die Wohnung zugesagt hatte. Von der Hauswartsfrau hatte ich auch schon die Schlüssel erhalten. Voraussetzung meinerseits für die Unterschrift sollte allerdings sein, daß die beschriebenen Mängel auf Kosten der Verwaltung beseitigt würden.
Am Sonntag abend jedoch, als ich zum zweitenmal die Wohnung betrat, erwies sich erneut die Notwendigkeit eines stärkeren Engagements der Hausverwaltung: Seit offenbar zwei Tagen quoll aufgrund eines verstopften Rohres im Keller die Toilette und der Abfluß der Dusche über, so daß sich das Bad, der Flur und ein Teil der Küche voller Fäkalien befanden. Diese Mischung aus Urin und Kot war vom Bad in die Küche gesickert und in den Holzboden im Flur eingedrungen, machte deshalb eine gründliche Reinigung und Desinfektion notwendig. Statt jedoch schon am Sonntag abend einen Rohrreinigungsservice zu verständigen – ich benachrichtigte die Hauswartsfrau unmittelbar nach Entdecken des Schadens – wurde die Verstopfung des Rohres im Keller erst am Montag morgen aufgelöst.
Mietwohnungen mit kaputten Fenstern
Aufgrund dieses Vorfalls ging ich am Montag zur Hausverwaltung und listete einem Angestellten noch einmal all die Mängel auf, die es in dieser Wohnung gab, mit der Bitte, daß sich die Hausverwaltung mit einer oder zwei Monatsmieten – die Warmmiete beträgt etwa 500 DM – an der Renovierung und Beseitigung der festgestellten Mängel beteiligen solle. Der junge Mann notierte sich alles, verließ zweimal das Zimmer, angeblich, um sich mit Herrn H. zu besprechen, der sich in einer Sitzung befand. Er kam mit der Zusage zurück, daß man sich die Wohnung noch einmal anschauen wolle. Man werde mich dann am nächsten Tag zurückrufen.
In diesem Gespräch fiel dann auch der eingangs zitierte Satz, daß man in Berlin Mietwohnungen halt auch mit kaputten Fenstern und Löchern in den Wänden vermiete. Und daß zwei oder drei Tage Teile der Wohnung mit Kot und Urin getränkt würden, das habe man hinzunehmen, das „passiere eben“. Auf meinen Wunsch, eine Reinigungsfirma zu bestellen, die die verdreckten Teile der Wohnung gründlich desinfizieren solle, ging er nicht ein. Er hielt es für normal, daß der mögliche Mieter für Schäden aufkommen soll, die nicht von ihm verursacht sind.
Nachdem ich am darauffolgenden Tag nichts von der Hausverwaltung gehört hatte, versuchte ich selbst noch einmal mit Herrn H. zu sprechen. In der Potsdamer Straße wurde ich aber gleich an der Tür von einer Sekretärin abgewimmelt, die mir sagte, daß die Wohnung schon an einen anderen vergeben sei, der sie in dem Zustand übernehme, in dem sie sich befinde. Außerdem müßte ich schon eine Nachricht im Briefkasten haben, in der mir das mitgeteilt worden sei. Dieser Brief, so zeigt das Datum an, ist also an dem Tag abgefaßt worden, an dem ich das Gespräch mit dem Angestellten geführt hatte. Mithin: An dem Tag, an dem ich meine Forderung vorbrachte, daß sich die Hausverwaltung an der Renovierung beteilige, vor allem aber an der gründlichen Reinigung der Wohnung, wollte man mich nicht mehr als Mieter.
Statt dessen machte man sich auf die Suche nach jemanden, der sich gefügiger erweisen sollte als ich. Bei der Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt war das nicht allzuschwer. H.T.
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