Zwischen den Rillen: Auf und unter der Erde
■ Zwei Wege, mit afroamerikanischer Realität umzugehen: Geto Boys und LL Cool J
In den Geto Boys sind die Widersprüche des Gangsta-HipHops auf die Spitze getrieben. Stück um Stück versuchen sie, ihre Souveränität im Umgang mit der Lage, ihre Bereitschaft, aus den blauen Polizeihemden rote zu machen („Crooked Officer“), zu unterstreichen. Scarface rapt energisch: jedes „Bitch“, jedes „Nigger“ ist die Grenzziehung einer schneidenden Identität, ein Brüllen im Walde.
Bushwick Bill, der andere Rapper, ist mit seiner rauchig- dunklen Stimme noch näher an der zurücklehnend müden Grausamkeit eines Gangsterpaten. Aber das ist kein Film mit Al Pacino, das ist die Realität des „Black on Black-Crime“, des Bürgerkrieges, der seinen Ausgang im „Rassismus als Konkurrenzvorteil“ des Post-Reaganism nimmt. Da scheint es kein Entkommen mehr zu geben – auch nicht in der Inner City von Houston, wo die Dramen der Geto- Boys ihren Schauplatz haben. Ihre Wut ist keine fordernde mehr, sie sind der day after Public Enemy — nicht die sieben Samurai, sondern die Reiter der Apokalypse.
So ist auch ihre musikalische Sprache nicht mehr das Marktanteile einfordernde Adrenalin- Feuerwerk, ein „Party for your right to fight“. Sie kommt aus dem Moment völliger Depression, wo einen nichts mehr aus der Ruhe bringen kann: Der fast gemächlich dahingroovende Beat, die stoisch kreisende Baßfigur sind nicht Soundtrack für seidene Bettwäsche, nein, diese Raps malen eine andere Welt aus: der lunatic (Irre) tötet die „Bitch“ – „it was like a scene from Psycho“ – und damit auch die Subtilität des gewöhnlichen Sexismus, der ansonsten das gesamte Popbusiness durchzieht.
Die Splatter-Wahrheit wird den weißen Kritikern zu Ende von „Murder Avenue“ als Rat nachgereicht: Natürlich wissen die Geto Boys, daß Massenmörder Jeffrey Dahmer hauptsächlich schwarze Männer umgebracht hat, und der Hinweis auf ihn dient ihnen dazu, daran zu erinnern, daß die (selbst-)zerstörerische Wut in den Inner Cities nicht von selbst kommt – „This song was inspired by Jeffrey Dahmer, you know the drama, so if you have an argument with me, you should have better judged him.“
Von der anhaltenden Diskussion um die Misogynic der Geto Boys werden Stücke wie „My Mind Is Playing Tricks On Me“ von ihrer 1991er Platte fast überdeckt. Ein wirklicher Klassiker des HipHop: eine fast verträumt wirkende soulige Atmosphäre wirft sich in Spannung mit der Verzweiflung und Trauer über den Wahnsinn der Gewalt im Ghetto, der an der eigenen Wahrnehmung zweifeln läßt. Im kongenialen „Six Feet Deep“ von der aktuellen Platte wird dieser „Leidensdruck“, der Nähe für jene offen hält, die in vergleichsweise sicheren Verhältnissen auch hin und wieder mal an ihrem Verstand zweifeln, zu seinem erdrückenden Ergebnis formuliert: „Bushwick Bill can't sleep when everybody around me is falling six feet deep.“ Versöhnung und Erlösung wollen sich nicht einstellen, wenn mehr und mehr Leute aus der Neighbourhood unter der Erde liegen — auch wenn der Sample für den Song auf „I'm Easy“ von den Commodores basiert.
LL Cool J würde sich selbst wohl kaum einen lunatic nennen. Er repräsentiert – mit dem 1990er Millionenseller „Mama Said Knock You Out“ im Rücken – vielmehr den vor Selbstbewußtsein strotzenden klassischen Ladies Lover, der 1984 einmal als paradigmatischer B-Boy angetreten ist, um mit Kangaroo-Hütchen und Goldkette die Welt — und wenn auch nur die der Musik — zu erobern. So kann er jetzt mit ruhigem Gewissen den „ladies in the house“ empfehlen, zu ihrem Mann zu stehen („Stand By Your Man“), ohne des Sell-outs bezichtigt zu werden. Die Phase hat er schon hinter sich: Mit seinem „I Need Love“ von 1987 ließ er soften Schmuse-Hop zum Chartsrenner werden.
Mittlerweile hat er neue Wege gefunden, die Rolle des Unwiderstehlichen wortakrobatisch in eine angemessene Form zu kleiden: Auf dem Stück mit dem irrsinnigen Titel „Pink Cookies In A Plastic Bag Gettin Crushed By Buildings“ präsentiert er die HipHop-Version des alten galanten Wortspielens im Muster von „Er legte sie am Bach ins Mooszart“; nur daß es hier keine klassischen Komponisten sind, die in schlüpfrige Reime schlüpfen, sondern die Kollegen der New School of HipHop, von Boogie Down Productions bis Naughty By Nature. Daß LL Cool J street bleibt und gleichzeitig Platin einheimst, dafür sorgt Produzenten-Veteran Marley Marl, der mühelos den State Of The Art – wenn auch nicht mehr – der Kunst des geschmeidigen Sampelns quer durch die Geschichte des Funk und Souls aufbietet. Ungebrochen scheint sich an jeden sicheren Reim des LL Cool J unausgesprochen das aus Interviews von ihm bekannte „You know what I'm saying?“ anzuschließen, was eben nicht „verstehst du, was ich meine?“, sondern „weißt du, was ich sage?“ heißt.
LL Cool J beschreibt die Zustände, in denen sich das „schwarze Bewußtsein“ noch – oder wieder – als Ausdruck eines souveränen Stolzes versteht, der der Inner City-Realität ein Schlafzimmer und ein spielerisches Sprechen abgerungen hat. HipHop entwickelt Qualitäten, die im Gesagten über das hinausgehen, was vielleicht nur gemeint war, weil die Beschreibung der Verhältnisse deren Widersprüche in sich trägt. Jörg Heiser
Geto Boys: „Till Death Do Us Apart“ (Rap-A-Lot/ZYX Music)
LL Cool J: „14 Shots To The Dome“ (Columbia/Sony)
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