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■ Russen in Estland klagen über DiskriminierungKeine Energie für Menschenrechte

Man kann beide Seiten verstehen. Die Esten, die nach über vierzig Jahren Okkupation mal wieder allein über ihre Geschicke entscheiden möchten. Die Russen in Estland, weil man ihnen elementare Rechte vorenthalten will. Doch sollte man nicht vergessen: die Russen kamen nicht als Neuzuwanderer. Sie wurden gezielt angesiedelt, um Estland zu assimilieren. Sie waren Militärs und einfache Arbeiter, unkultiviert und unzivilisiert. Empfänglich für den Überlegenheitswahn des bolschewistischen Imperialismus. Es kamen auch andere. Intellektuelle, die die freiere Luft in Sowjetestland atmen wollten. In Narwa drohen die Russen nun, auf die Straße zu gehen. Aus Moskau tönt Boris Jelzin, er werde alles tun, um seine Landsleute zu unterstützen. Was sonst sollte er sagen?

Für die national-chauvinistische Rechte Rußlands, die Nationale Rettungsfront und dergleichen Vergangenheitsbeschwörer sind die Auslandsrussen, immerhin 25 Millionen, seit dem Zusammenbruch der UdSSR ein propagandistischer Dauerbrenner. Nur trug die Propaganda bislang keine Früchte. Denn Rückkehrer aus den ehemaligen Republiken werden in der Heimat gar nicht gern gesehen. Die Rede von Mutter Rußland ist Makulatur. Damit werden keine politischen Schlachten gewonnen. Wenn Jelzin mit der Androhung von Sanktionen und militanter Wortwahl den Landsleuten zur Seite eilte, dann, um die Rechte ruhigzustellen. Zigmal geschah's bisher, jedesmal blieben es Worte. Eigentlich folgt die Politik gegenüber Estland pragmatischen Mustern. Das Moskauer Außenministerium klagt Menschenrechte ein und begnügt sich anschließend damit, die internationalen Organisationen einzuschalten.

Ganz und gar pragmatisch handeln die Wirtschaftsführer. Soeben drehte man den Esten den Energiehahn ab. Der Befehl kam nicht aus der Moskauer Schaltzentrale, war nicht politisch motiviert. Der Direktor der Petersburger „Lentransgas“ fällte die Entscheidung eigenhändig. 11 Millionen DM ist ihm der estnische Partner schuldig – bei dem der Petersburger auch noch zu 30 Prozent Aktionär ist. Der Witz am Ganzen ist: die Russen im industriellen Nordosten Estlands leiden am meisten darunter. Jelzin bläst die Backen ein wenig auf – für den heimischen Markt sozusagen.

Die tatsächliche russische Politik gegenüber den ehemaligen Satelliten konnte sich dagegen in letzter Zeit sehen lassen. Die zähen Streitereien mit Litauen und der Ukraine konnten langsam beigelegt werden. Man kam sich sogar wieder ein Stück näher. So wird es auch im Falle Estland sein. Die Esten sind eben immer etwas dickköpfiger – weiß man in Moskau noch aus der gemeinsamen Vergangenheit. Klaus-Helge Donath

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