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Eine Chronik des Kleinkriegs in Ägypten

Längst haben die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Islamisten den Charakter „einzelner Zwischenfälle“ und „regionaler Konflikte“ verloren / Ein Wochenbericht  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Montag: Schon morgens wird klar, daß wieder eine ganz normale Woche bevorsteht: Ein Militärgericht in Kairo lehnt die Gnadengesuche von 14 zum Tode verurteilten militanten Islamisten ab. Sie wurden Ende Mai wegen Mitwirkung am Attentat auf den ägyptischen Informationsminister verurteilt. Der Minister war leicht an der Hand verletzt worden.

Aus dem Kleinkrieg zwischen Regierung und den gamaat al-islamiya, den „Islamischen Gruppen“ in Oberägypten, wird gemeldet, daß ein Polizist in Efu von einem Unbekannten angeschossen und schwer verletzt wurde. Dem Anschlag folgen zehn Festnahmen in der Nähe des Tatortes. Gleichzeitig übergibt der Oberstaatsanwalt wenige hundert Kilometer nördlich fünf angebliche Mitglieder der gamaat dem obersten Sicherheitsgericht. Derartige Sondergerichte sind Teil des herrschenden Ausnahmerechts. Bislang haben zivile Richter den Vorsitz. Sie verhängen meist niedrigere Strafen als die Militärgerichte, die immer mehr Verfahren gegen Islamisten an sich ziehen. Die soeben Überstellten sollen im März eine Polizeistation angegriffen haben. Dabei war ein Polizist ums Leben gekommen.

Bei dem Versuch, in Sohag vier verdächtige Islamisten in einer Wohnung festzunehmen, kam es zu einer Schießerei, wird kurze Zeit danach gemeldet. Die Islamisten hätten fliehen können. Sie werden für den Tod eines Geheimdienstlers verantwortlich gemacht.

Auf dem Rückweg vom Begräbnis der sieben in der vorigen Woche hingerichteten Islamisten überschlägt sich an diesem Tag ein LKW der Bereitschaftspolizei. 26 Polizisten werden verletzt. Sie hatten den Auftrag, einen etwaigen Aufstand während des Begräbnisses zu verhindern. Dann folgt eine polizeiliche Erfolgsmeldung: In der Nähe der Suezkanal-Stadt Ismailiya und in der Stadt im Nildelta Qafr Scheich hat die Polizei zwei Waffenlager entdeckt. Im Prozeß gegen die mutmaßlichen Mörder des Schriftstellers Farag Foda fordert die Staatsanwaltschaft heute sechsmal den Tod durch den Strang. Foda war wegen seiner Kritik an den Islamisten im Frühjahr auf offener Straße in Kairo erschossen worden.

Der Dienstag morgen beginnt mit einer kleinen Bombe in einem Sportclub auf der Nilinsel im Zentrum Kairos. Niemand wird verletzt und die Polizei geht davon aus, daß es sich bei dem Minisprengsatz um ein warnendes Zeichen handelte. Die Bewachung des Clubs und der umliegenden Botschaften wird verstärkt. Wegen des gestrigen Anschlags auf einen Polizisten werden in Efu 15 Personen verhaftet. Eine unbekannte Anzahl von Menschen wird außerdem in der Islamisten-Hochburg Assiut, 200 Kilometer südlich von Kairo, festgenommen. Im Verhör geben sie zu, einer Geheimorganisation zum Sturz der Regierung anzugehören. Ägyptens Menschenrechtsorganisation wies schon 1990 auf Mißhandlungen und Folter bei Verhören hin.

Auch der Mittwoch ist ein Tag der Verhaftungen. In Kairo werden vier angebliche Führer der gamaat festgenommen. Weitere 15 Personen werden auf Grund des gestrigen Sprengsatzes im Sportclub in „Gewahrsam“ genommen. In der oberägyptischen Tempelstadt Luxor wird ein angebliches Führungsmitglied des militanten Flügels der gamaat festgesetzt. In Sohag und im oberägyptischen Dorf Basuna werden 23 Menschen festgenommen. Unter ihnen vermutet die Polizei den gamaat-Emir des Dorfes. Auf seiner Hochzeit sollen feindliche Parolen gegen die Regierung skandiert worden sein. In Assiut spürt die Polizei einen Jungen auf, der den zwölfjährigen Ala Abdel Muhammed angeblich überredet hat, einen Sprengsatz am Ruhesitz des Kriminalchefs von Assiut abzugeben. Ein junger Christ, der 23jährige Muhsin Muris Yasa, wird von Unbekannten in der Nähe von Dairut erschossen. Dairut ist ein hotspot der Auseinandersetzungen zwischen militanten Islamisten und Regierung, und Yasa galt als Informant der Polizei.

Der Minister für Religiöse Angelegenheiten, Muhammad Ali Mahgub, verfügt, daß alle zawaya diniya, sogenannte „religiöse Nischen“, in denen gemeinsam gebetet wird, von der Regierung genehmigt werden müssen. Diese Mini- Moscheen werden von den Islamisten angeblich zur Mitgliederwerbung benutzt. Allein in Kairo soll es Tausende solcher „Nischen“ in Wohnungen und Kellern geben.

Am Donnerstag werden zwei Männer vor der israelischen Botschaft in Kairo festgenommen. Sie hätten die Bewegungen des israelischen Botschafters ausspionieren wollen, heißt es. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak spricht heute vor dem Kommando des militärischen Nordabschnittes. Überhaupt läßt er sich in den letzten Wochen oft bei den Militärs sehen, als wolle er sich ihrer Loyalität versichern. Sein Verständnis von Menschenrechten sei nicht, „die Verteidigung von verwirrten Gruppen, die unschuldige Bürger töten und den Fortschritt und das Leben angreifen.“ Er rechtfertigt das vor über zehn Jahren verhängte Ausnahmerecht, das letztes Jahr durch ein Antiterrorgesetz ergänzt wurde. Abends spricht Usama Al-Baz, der Chef des Präsidentenbüros für Politische Fragen vor ausländischen Journalisten. Tenor: alles unter Kontrolle.

Freitag: Der Feiertag der Muslime. Die Polizei verstärkt die Suche nach den Mördern des Christen Yasa und nimmt zwei Personen fest. Der „Sprengsatz“, den das Kind am Mittwoch beim Kriminalchef von Assiut abgegeben hat, entpuppt sich als Gaskartusche. In Assuan beschießen Unbekannte mitten auf der zentralen Niluferstraße ein Polizeiauto, niemand wird verletzt. 20 Personen werden festgenommen. In der Arbeiterstadt Shubra al-Kheima werden bei einer Razzia 40 Menschen verhaftet und ein Waffenlager entdeckt. Der Staatsanwalt in Sohag verlängert den Haftbefehl gegen zehn Studenten um 45 Tage. Sie wurden im April auf dem Campus inhaftiert, mit Flugblättern, die den Sturz der Regierung forderten.

Am Samstag schließt sich der Kreis der Woche. Fünf im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Informationsminister zum Tode Verurteilte, deren Begnadigung letzten Montag abgelehnt wurde, werden um sechs Uhr morgens in Kairo gehängt. Die Bewachung staatlicher Institutionen und Gebäude wird verstärkt. Die Polizei befürchtet Vergeltungsanschläge. In der Stadt Damanhur wird eine vom örtlichen „Hilfkomittee für Bosnien“ organisierte Demonstration nach wenigen Minuten gestoppt. Bei den anschließenden gewalttätigen Auseinandersetzungen werden 106 Menschen verhaftet. Der Ärzteverband spricht von einem ungewöhnlich brutalen Polizeieinsatz.

Am Sonntag morgen ist es soweit. Fünf Männer beschießen das Auto eines Generals mitten in Kairo mit automatischen Waffen. Der Mann bleibt unverletzt. Bei der Verfolgungsjagd werden zwei Attentäter, ein Polizist und ein Unbeteiligter erschossen und fünf weitere Personen verletzt. Die Attentäter trugen schwarze Stirnbänder als Zeichen der Trauer für die Hingerichteten. Die gamaat bekennen sich zu dem Anschlag und warnen die Militärs davor, sich an der Verfolgung von Islamisten zu beteiligen. Es war der erste Angriff auf ein Mitglied der Armee.

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