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Jenseits von Afrika

Das moderne Märchen der Maria de Lurdes Mutola aus Mosambik, die in Stuttgart Weltmeisterin über 800 Meter wurde  ■ Aus Stuttgart Cornelia Heim

Stuttgart feiert. Zum Beispiel Maria de Lurdes Mutola, die Siegerin über 800m. Und Berlin darf sich auch freuen? IOC-Mitglied Thomas Bach war durchaus angetan von den Schwaben: „Ein ganzes Stadion freut sich mit dieser Frau aus Mosambik. Das sind schöne Bilder. Bilder, welche um die Welt gehen und die Erinnerung an die Anschläge von Mölln und Solingen verblassen lassen.“ Die ausländerfeindliche Stimmung gilt als Haupthindernis auf Olympias Weg an die Spree im Jahr 2000. Thomas Bach tupfte sich mit der Serviette den Mund fein säuberlich ab: „Diese Feststimmung steigert die Chancen Berlins beträchtlich.“ So einfach ist das: Maria de Lurdes Mutola wird Weltmeisterin, und ein bis vor kurzem am sozialistischen Block orientiertes Land wie Mosambik – neben anderen – zum Wegbereiter Berliner Olympia- Pläne.

Vor knapp einem Jahr gab es in der südostafrikanischen Republik die ersten Wahlen. Die Rebellenorganisation Renamo hat unlängst zugesichert, ihre Guerilla-Aktivitäten zu beenden und als politische Gruppierung zu agieren. Die Bevölkerung aber leidet weiter unter dem Bürgerkrieg, der sechzehn Jahre wütete: eine Million Menschen sind ums Leben gekommen, 1,5 Millionen leben im Exil. In kaum einem anderen Land gibt es so viele Menschen, denen Minen die Gliedmaßen zerfetzt haben. Von alledem will Maria Mutola in der Hauptstadt Maputo nichts bemerkt haben. Im Schnitt wird ein Mosambikaner 47 Jahre alt, 13,7 Prozent der Säuglinge sterben, jeder zweite von drei Mosambikanern ist Analphabet. Maria Mutola interessiert sich nicht für Politik. Oder darf es nicht. Sie treibt Sport: „Mein Traum war immer schon, berühmt zu werden.“

Jetzt ist sie Weltmeisterin, mit 21. Vor jedem Rennen geht sie in die Kirche, vor dem Startschuß schlägt sie ein Kreuz. Der Glaube verleihe ihr zusätzliche Kraft, sagt die 1,62 Meter kleine, aber 61 Kilo schwere Muskelfrau. Ihr Körper gleicht dem eines Mannes, ihr kraftvoller Laufstil ist ebenso viril. Ihre Mutter ist Marktfrau. Was hätte aus dem jüngsten von sechs Kindern werden können? Eine Landarbeiterin, wie es 82 von 100 Mosambikanern sind. Maria Mutola hat sich als kleines Mädchen auf ihrer Füße Arbeit verlassen müssen. Die Schule war 15 Kilometer entfernt. Maria ist gerannt.

Ihre große Liebe galt dem Fußball: Auf der Straße kickte sie mit den Jungs. Bewegte sich schneller und kraftvoller als die Buben. Was eines Tages einem zufälligen Beobachter, einem Dichter namens José Craveirinha, ins Auge stach. Woraufhin dieser seinen Sohn Stello, welcher zufälligerweise Leichtathleten trainiert, von den läuferischen Qualitäten des jungen Talentes unterrichtete.

So begann mit 15 Jahren die Karriere der Maria Mutola, die man getrost als modernes Märchen interpretieren kann. Ihre Bestzeit damals: 2:04,36 Minuten. Wenige Monate später durfte sie bereits die olympische Flagge ihres Landes beim Einmarsch ins Olympiastadion von Seoul tragen. Sie schied im Vorlauf aus. Was nicht viel ausmachte, denn sie erlief sich ein Stipendium des Olympischen Solidaritätskomitees. Die Regierung sträubte sich lange, den Teenager ins ferne, auch noch kapitalistische US-Amerika zu schicken, der Verband auch und das katholische Elternhaus erst recht.

Maria Mutola ging 1991, kurz nach ihrem 18. Geburtstag, trotz aller Widerstände nach Springfield. Jetzt trainiert sie nicht mehr im Busch – selbst in der Hauptstadt Maputo gibt es keine Tartanbahn – sondern auf den weltberühmten Anlagen von Eugene. In Stuttgart lief sie persönliche Bestzeit: 1:55,44 Minuten. Sie wird von Nike gesponsert und vertritt die Meinung: „Geld ist wichtig, jeder möchte reich werden.“ Über die Höhe ihres Einkommens will sich die Studentin nicht auslassen, sie habe deshalb schon einmal Probleme mit dem mosambikanischen Verband bekommen.

Kinder bitten sie um Autogramme, Reporter um Interviews. Es gefällt ihr, auf der Straße erkannt zu werden. „Das ist es, was ich immer erreichen wollte.“ Früher sah sie Carl Lewis im Fernsehen in Maputo. Er war ihr großes Idol. Heute spricht das Vorbild mit ihr, wenn sie sich auf dem Aufwärmplatz begegnen – von Star zu werdendem Star.

Ob dem Emporkömmling jedes Mittelchen recht war auf ihrem steilen Weg an die Weltspitze? Maria Mutola schüttelt den Kopf, daß die Ohrringe heftig hin- und herwackeln: „Mir wurden in den USA nie, auch in keinem Kraftstudio, irgendwelche Pillen angeboten.“ Früher sei sie allerdings schlanker gewesen, gesteht sie. Sie stemmt Gewichte, drückt 60 Kilo vom Brustkorb in die Höhe. Ihr Körper wachse eben „ganz kooperativ“ durch das Hanteltraining mit. Ob sie denn meine, daß alle Topathleten sauber seien? Da senkt sie den Kopf: „Darauf kann ich nicht antworten.“

In Stuttgart hat sich Maria Mutola nicht nur den WM-Titel und einen Mercedes geholt. Sie hofft, außerdem ein Zeichen gesetzt zu haben. An Berlin dürfte sie dabei nicht unbedingt gedacht haben. Aber an ihre Geschlechtsgenossinnen aus anderen Dritte-Welt-Ländern: „Es ist möglich, sich frei zu laufen und nach oben zu kommen.“ Jenseits von Afrika.

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