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Wand und BodenIn die Natur und das Wesen der Dinge vertieft

■ Kunst in Berlin jetzt: Bild, Raum, Landschaft, Sein

Und noch ein Kölner: Elf Jahre nach dem Documenta-Debüt der Neuen Wilden hat Walter Dahn seine erste Einzelausstellung in Berlin. Doch statt der einstmals poppig expressiven Stimmungsbilder ist in der Galerie Carstens eine Auswahl neuerer Arbeiten zu sehen, auf denen der ausdrückliche Enthusiasmus des Malaktes weitgehend zurückgenommen ist. Anders als die freien Mülheimer Männer oder der Kippenberger- Clan hat Dahn einen sehr viel stilleren Weg eingeschlagen. Mit fast schon buddhistischer Ausgeglichenheit läßt er auf kargen Drucken rot und braun miteinander kontrastieren und variiert darin Grundformen wie Kreise oder – noch weiter in die Natur und das Wesen der Dinge vertieft – das Ei. Ökologisch abstrakt kehrt nebenbei ein siebenästiger Baum auf Probedrucken als braun, schwarz und blau gedrucktes Zeichen wieder, dem Dahn auch einen Gußbaum als bildhauerisches Modell zur Seite gestellt hat. Überhaupt häuft sich das Versuchshafte in den Arbeiten, als wolle Dahn die früher vielschichtige Malerei nun mit knappen Figurationen umgehen. Zwar hat er sich für eine Grafik-Serie von Warhols Biografie den Titel „From A to B (and back again)“ geliehen, doch die abgebildete Anhäufung von zwölf gedruckten idealen Eiern sucht vielmehr den Kontakt zu Joseph Beuys, keinesfalls aber zum Pop der sechziger Jahre.

Für eine wirklich unabdingbare Gefolgschaft der beuysisch minimierten Symbolsprache wirken die naturverbundenen Dahn- Zeichen allerdings zu ausgesucht und aus dem Lebenszusammenhang gerissen. Es fault und west nichts, statt dessen wurden mit dem Gefühl für den richtigen Augenblick einige Klarheiten zwischen Mensch und Ding festgehalten.

Bis 25.9., Regensburger Straße 25; Di-Fr 10.30-14 Uhr, 14.30-19 Uhr; Sa 10.30-14 Uhr

Sehr viel verschachtelter ist die Konstruktion des Ateliereinbaus II, mit der Sabine Hornig innen- architektonisch ein Labyrinth und zugleich eine Sackgasse errichtet hat. Die etwa 70 qm große Atelierfläche in den Kunst-Werken wurde bis auf einen knapp zehn Meter langen, gerade einmal schulterbreiten Trakt zugemauert, der nachträglich geweißt werden mußte, damit überhaupt Licht in den schmalen Gang fallen konnte. Von diesem Schlauch aus führen in halber Höhe des Raumes zwei schmale Korridore zu den Fenstern, die als offene Flächen in der eingezwängten Situation eine ungeheure Intensität erhalten. Doch bei Hornig soll man nicht unbedingt diese Art von Grenze erfahren, in erster Linie geht es um Wahrnehmung, nicht ums Selbst.

Alle vorgegebenen Raummaße richten sich nach den vorgegebenen Proportionen von Fenster und Ateliertür, der Raum ist auf die Höhen- und Breiten- Koordinaten seiner Öffnungen nach Außen reduziert. Die Schleusen zum Fenster hin sind so konstruiert, daß sich der einzig mögliche Blick nach draußen verdoppelt. Aufgrund einer simplen Verschiebung des Einfallswinkels sieht man von beiden Ausblickspunkten denselben Hausausschnitt entlang der gegenüberliegenden baufälligen Außenwand im Aufriß. Der Raum wird so zum Bild. Durch die Einschränkung der Raumerfahrung ist der Bildraum für den Betrachter ungleich intensiver wahrnehmbar, die Perspektive baut zugleich eine irritierende Distanz zum eigenen Blick auf und bündelt die Außenwelt. Der Blick auf die Dinge kehrt sich um.

Bis Mitte Oktober, Auguststraße 69; Di-Fr 11-18 Uhr, Sa/So 14-18 Uhr.

Der Blick der sechs Frauen, die in der Galerie Lebendiges Museum zum Thema Landschaft Bilder, Stahlskulpturen, Installationen und Konzepte zeigen, schweift dagegen im Freien und findet nur schwer zurück. Die Grenze zwischen der imaginären Welt und dem abstrakten Bildschema von Berlin ist ebenso hauchdünn wie der Übergang von Krieg und Geschichte zur konkreten Situation im heutigen Jugoslawien. Alles mischt sich. Annegret Hauffe hat für ihr „Ensemble mit Traktorspuren“ Gegenstände aus dem bäuerlichen Leben vor sechs karge und minimalistisch gerahmte Drucke mit Dunlop-Muster gestellt. Schilfrohr, Hölzer und merkwürdige Hacken beschwören die Authentizität der Objekte, die von realen Mühen auf dem Lande zeugen sollen. Wer will, kann sich auf einen Holzschemel setzen und unter einem Walkman mit Bauernliedern über das a cappella gesungene bodenständige Ideal der Heimat meditieren.

Barbara Noculak versucht in fünf verschiedenen Arbeiten „Blicke auf die Wirklichkeit“ abzubilden und kommt am Ende wie so oft bei der Schrift heraus. In erstaunlich logischer Reihung wird Holz über die Zwischenschritte Rinde und Papier zu Schrift verarbeitet, die wiederum von Krieg und katalysierter Ohnmacht handelt. Starrgestellt pendeln auf einer dreiteiligen Photomontage Textcollagen und tagebuchartige Gedanken angesichts des brennenden Europas zwischen dem begründeten Pazifismus eines Novalis und dem widerständigen André Gide hin und her. Barbara Noculak selbst ist auf eine überblendende Darstellung dieses Konflikts ausgewichen.

Bis 3.9; Lindower Straße 18; Di-Fr 15-19 Uhr.

Was sollte man in der LiteraturWERKstatt Berlin anderes als Text erwarten? Zwischen lauter Photokopien vergangener Lesungen und Plakaten für kommende Ereignisse dreht sich eine Minimal-Installation aus Bild, Objekt und Video sehr still und unscheinbar um die noch weiter minimierten Gedanken zum Wörtchen „ist“ als Bedeutungsträger für mehr und mancherlei.

Im Video wird dem kleinen Wort konkret poetisierend nachgeeifert und das Sein in den verschiedenen Zeiten gebeugt. Ob Gegenwart oder Perfekt: es ist, gewesen oder vorbei. Die typografisch ornamental arrangierte Bild-Dichtung ist jedoch weit von den Synchronismen eines Guillaume Appolinaire entfernt. Die Sprache reflektiert sich bei Nauka G. Kirschner nicht als Form, sie drückt vielmehr eher aus, was sich am Computer mit der Logik spielend zur ontologischen Grille entwickelt: „Denkbarsein ist denkbar.“

Kirschner versucht, dem existentiellen Grundpattern der Sprache mit allen Zeichenebenen auf die Schliche zu kommen. Drei Bilder auf Pergamentpapier geben die unterschiedlichen Seinsweisen an, die das Wort bedeutet: als Raum- und Zeitangabe, als idealer Zustand und als Zugehörigkeitsbeziehung. Das gab es schon bei Franz Kafka in den Fragmenten als negative Theologie zu lesen. Ansonsten spielt Kirschner mit den Zeichen Anwesend- und Abwesendsein, läßt Sätze im Hintergrund einer Leuchtkasteninstallation verschwinden und hebt immer wieder das Wörtchen ist hervor. Die Sprache als Vehikel des Denkens tapst dagegen eher im dunkeln, auch wenn Kirschner ganz pragmatisch behauptet: „Sichtbares Zeichen der Sprache, lesbarer Ausdruck von Gedanken, Gefühlen, Willensregungen ... ist Schrift.“ Bei Lyotard heißt es dazu: Man muß anknüpfen können.

Bis 6.9.; Majakowskiring 46/48 (Pankow); Mo-Fr 14-18 Uhr.

Harald Fricke

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