: Grüne Niedersachsen: Rücktritt und Rüffel
■ Vorstandssprecher Peter Bulle ist abgetreten / Andrea Hoops Spitzenkandidatin für 1994
Heftiger Streit um einen Vorstandsprecher und Wahlen für die Liste zur Landtagswahl 1994 betimmten am Wochenende den Parteitag der niedersächsischen Grünen in Hannover. Vorstandssprecher Peter Bulle wurde von den Delegierten das Vertrauen entzogen und trat zurück. Die Landtagsabgeordnete Andrea Hoops aus Walsrode ist die Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl im März 1994. Die 31 Jahre alte Pädagogin wurde mit 90 von 128 abgegebenen Stimmen erwartungsgemäß gewählt.
Mit einem wesentlich knapperen Ergebnis wurde Bundesratsminister Jürgen Trittin auf den zweiten Listenplatz gewählt. Er erhielt 73 Stimmen, sein Gegenkandidat Cristian Schwarzenholz (Peine) 60 Stimmen. Der Wahl war eine Debatte über die Rotationsbestimmungen der Grünen vorausgegangen. Der Kreisverband Hannover-Land hatte beantragt, Minister- und Staatssekretärsposten auf die zeitliche Begrenzung von zwei Legislaturperioden für grüne Abgeordnete anzurechnen. Demnach hätte Trittin, der bereits in der vergangenen Legislaturperiode für die Grünen im Landtag saß, nicht für die Wahlliste kandidieren dürfen. Jeweils in einer Stichwahl wurden Rebecca Harms (Dritter Listenplatz) und der Landtagsabgeordnete Pico Jordan (Vierter Listenplatz) gewählt.
Nach wochenlangen Querelen ist Peter Bulle als einer von zwei Vorstandssprechern der Grünen am Sonnabend zurückgetreten. Zuvor hatten die Delegierten nach einer kontroversen Debatte mit einer knappen Mehrheit von 63 zu 55 Stimmen bei mehreren Enthaltungen das Vorgehen der Vorstandsmehrheit gegen Bulle gebilligt. Er war von allen wichtigen Funktionen entbunden und damit politisch kaltgestellt worden.
Landesschatzmeister Gerhard Kiehm warf Bulle vor, nach „informellen Kungel-Treffs“ in der Öffentlichkeit das Umweltministerium für die Grünen nach der Landtagswahl im März 1994 beansprucht zu haben. Bulle habe auch Namen für Ministerposten genannt. Diese Äußerungen seien nicht autorisiert gewesen und nicht von Parteitagsbeschlüssen gedeckt.
Bulle nannte es ungerechtfertigt, ihm „parteischädigendes Verhalten“ vorzuwerfen. Es sei nicht Kungelei, sondern ein legitimer Anspruch, wie jeder in der Partei, sich um politische Ziele zu bemühen. Bulles Posten wird bis zur turnusgemäßen Neuwahl des Vorstandes im November unbesetzt bleiben. Bis dahin wird Gila Altmann alleinige Vorstandssprecherin bleiben.
Altmann warnte vor einer absoluten Mehrheit der SPD in Niedersachsen. Dann sei die Umweltpolitik in Niedersachsen gefährdet: „Man stelle sich vor, wenn man die SPD damit alleine läßt: Windräder auf einstürzenden Strommasten, eine großkonzernfreundliche Giftmüllverbrennung und U-Boote mit dem grünen Punkt im Industriepark Wattenmeer.“
Unmittelbar vor Beginn des Parteitags beschlossen die Grünen, den Beschluß der rot-grünen Landesregierung über die geplante zusätzliche Unterrichtsverpflichtung für Lehrer nicht mehr mitzutragen. Die Landtagsfraktion und die Grünen-Minister wurden damit im Ausschuß der Kreisverbände überstimmt. Gila Altmann sagte am Rande des Parteitags, es müsse geprüft werden, ob nicht durch andere Sparkonzepte die Mehrbelastung für Pädagogen verhindert werden könnte. Trittin und die Fraktionsvorsitzende, Thea Dückert, die für ihre Zustimmung zum Regierungsplan gerügt wurden, erklärten anschließend, sie erwarteten nun vom Grünen-Landesvorstand ein eigenes Konzept zur Finanzierung der Unterrichtsversorgung.
Gastrednerin und Bundesvorstandssprecherin Marianne Birthler eine positive Bilanz der ersten hundert Tage des Zusammenschlusses von Bündnis 90 und Grüne gezogen. Nach der nächsten Bundestagswahl müsse sich die Partei auf eine Oppositionsrolle vorbereiten. Alles deute auf eine große Koalition zwischen CDU und SPD hin.
dpa
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