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Vertraute Fremde

■ Mrozeks „Emigranten“ im Jungen Theater

„Die gesamte Literatur über die Unfreiheit ist entweder unsachlich oder falsch“, räsoniert der Intellektuelle. Sollte da ein Anflug von Selbstironie seitens des Autors in den Bühnendialog gerutscht sein? Was uns Slawomir Mrozeks „Emigranten“ über die Unfreiheit im Lande erzählen, ist freilich nicht grundfalsch, aber doch Jahrzehnte entfernt von der traurigen Wahrheit unserer Tage. Das Junge Theater hat Mrozeks leicht angestaubte Politsatire, Baujahr 1974, dennoch ausgemottet, und so steht es nun in der Zeitung gleich neben den Nachrichten aus Rostock oder dem Gröpelinger Hafen.

Das Leben der Emigranten wird uns hier noch einmal als handfeste Milieuschilderung vorgeführt. Dem braven, literarischen Naturalismus Mrozeks ist auch die neuerliche Inszenierung verpflichtet: Regisseur Hauke Thormählen läßt das ungleiche Emigrantenpaar in einem hübsch verpißten Kellerloch hausen, verhängt alles in Schwarz und zieht als vierte Wand einen Maschendraht zwischen Bühne und Publikum. Hinter solchen symbolschweren Gittern agieren die Underdogs dann fast wie im richtigen Leben. Der Prolet poltert und pöbelt und ist am Ende doch bauernschlauer als sein Zellennachbar, der Intellektuelle, der uns mit klugen Merksprüchen auf die Sprünge helfen soll.

Andre Kudella und Carl- Ludwig Weinknecht spielen ihre Charaktere, den Harten & den Zarten, zuweilen hart am Rande der satirischen Überzeichnung. Das tut gut angesichts der angestrengt nüchterner Alltagsdramatik Mrozeks; hier wird das Absurde der Situation wenigstens zaghaft angedeutet.

Zu mehr aber mochte sich das Junge Theater diesmal nicht durchringen. So bleiben Mrozeks Schilderungen eher Innenansichten von Gestern, zwar nicht idealisierend, aber auch nicht (mehr) irritierend. Die notwendige Auseinandersetzung mit unseren Vorstellungen von jenen vermeintlich Fremden, die derzeit in Kellern, Turnhallen oder auf Schiffen ihre Wartezeit fristen, kann das kaum befördern. Zumal im Premierenpublikum das wohlige Gefühl umging, eh' schon Bescheid zu wissen. Um solche Behaglichkeit wirksam zu stören, bräuchte es schon etwas mehr Mut zum Risiko, zum Experiment, zum Anstößigen.

Irritiernder als Mrozeks ganzes Kammerspiel sind allemal noch Karl Valentins Absurditäten zum Thema, die das Junge Theater wohlweislich statt eines Programmhefts verteilte: „Dem Einheimischen sind eigentlich die fremdesten Fremden nicht fremd. Der Einheimische kennt zwar den Fremden nicht, erkennt aber auf den ersten Blick, daß es sich um einen Fremden handelt.“ Thomas Wolff

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