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Modeseelsorge mit Kitsch

Zwischen Kitsch und Kritik: die Kostümgestalterin Hermaphrodite  ■ Von Petra Brändle

Sie nennt es streng wissenschaftlich eine „Überfrachtung mit Konzentration auf das Unwesentliche“. Im wesentlichen geht es dabei um das Detail: Es wird mit Hingabe gestaltet, überfrachtet – und so aus dem Detaildasein ins Zentrum der Aufmerksamkeit gesprengt. Die Kostümgestalterin Hermaphrodite spielt lustvoll mit Dekorativem, dem Schein und findet dies gleichermaßen dekadent wie ehrlich. Es geht ihr um die wahre Freude am falschen Schein, um die Freude am Kitsch als Waffe gegen städtische Betonnüchternheit und katholische Prüderie.

Linke Gesellschaftsdenker sehen Kitsch mit Vorliebe als Ausdruck der Waren- und Konsumgesellschaft, billige Plastikklunker mithin als Stein der kapitalistischen Reproduktionsstruktur. Die Masse wird mit billigem Tand geblendet und befriedigt. Hermaphrodite, die Kostümgestalterin, Performancekünstlerin und Videomacherin hingegen sieht in der kindlichen Freude an Kitsch-Insignien, den Kopien von Echtem und Wertvollem jedoch eine Unabhängigkeit vom Materiellen und vom Geldwert. Für sie ist es eine Freude, die nicht mehr braucht als Phantasie; der wahre Wert indes hat keine Bedeutung. Weil in dieser Gesellschaft ohnehin alles auf Schein basiere, sei ihr Spiel mit dem Falschen (abgesehen davon, daß ihr Portemonnaie ohnehin nicht für Gold und Edelsteine reiche) mehr als angemessen.

Hermaphrodite ist Autodidaktin, selbsternannte „Modeseelsorgerin“, 26 Jahre und aufgewachsen an der oberschwäbischen Barockstraße. Nicht weit von ihrem Elternhaus steht die schönste Dorfkirche der Welt – eine barocke Orgie, wenn dieses Bild einer Kirche angemessen sein kann. Hier wohl und in den Schlössern des Märchenkönigs Ludwig des Zweiten liegt die Quelle der Inspiration für Hermaphrodites Kleider: Putten, Marien- und Heiligenbilder, umrandet von Goldbrokat und Rüschen, Tressen, Rosen und Straß, zieren die gebauschten Kleider aus kostbarem Stoff. Kirchenfarben wie Bordeaux, Lila, Gold und Tannengrün dominieren. Neuerdings sind Rosa und Himmelblau als süßliche Farbvarianten hinzugekommen, sie werden die neue Performance prägen, die für Anfang nächsten Jahres geplant wird. Spitze, Samt, Seide und Glitzerstoff, das sind die Materialien, mit denen Hermaphrodite vorwiegend arbeitet; die Betonung liegt hierbei auf „vorwiegend“. Ihr Kleid im Barockstil beispielsweise ist erst vollständig, wenn die spitzen Brüste aus goldbesprühtem Drahtgestell drüber angelegt, eine ebensolche Perücke mit stilisierten Draht- Schillerlocken aufgesetzt und der Reifrock über dem Kleid umgebunden ist. Hermaphrodites Lust am Barocken, die durchaus ihrem Lebensgefühl entspreche, braucht immer einen Kontrapunkt aus „Rohmaterial“. Drahtgestelle, Ketten und Gummischläuche engen den schwülstigen Kleidungsprunk ein, der dicht an dicht an zwei langen Kleiderstangen in ihrer ansonsten nüchtern-hellen Wohnung hängt. Industrierohmaterial im Kontrast zu üppigen Stoffen, das ist ein demonstrativer Antagonismus, der schon im androgynen Künstlernamen festgeschrieben ist. Die Modeseelsorgerin kreiert Performances z.B. im Tacheles, in denen Männer manchmal Madonnen und Damen Dominas sind. Auch für Kunden, die sich in der Haut ihres eigenen Geschlechts nicht wohl fühlen oder die ihre devote Seite ausleben wollen, näht Hermaphrodite spezielle Wunschkleidung. Im Moment fertigt sie eine Korsage aus Leder.

Und genau hier hört der Kitsch bei Hermaphrodite auf. Ihre Kleidergestelle nämlich sind weitaus mehr als „billige“ (in Wahrheit reichlich teure) Imitate ferner Lebenswelten. Sie sind einerseits Spiegel dieser Scheinwelt, gleichzeitig aber auch Kritik, für die besonderen Kunden aber auch verständnisvoll bereitgestelltes Hilfswerk. Der hiesige christliche Kulturkreis nämlich ist in den Augen Hermaphrodites von Grund auf nekrophil. Anschaulich verdeutlicht werde dies durch das Kreuz als dominierendem Symbol. Hermaphrodites Kleider sind gegen diese Nekrophilität ein selbstbewußtes Aufbegehren. Das Ziel ist eine „biophile Gesellschaft“; schmachtende Jesus- und Marienbilder werden deshalb auf den Brüsten und in Vaginahöhe plaziert. „So verbinde ich Sexualität und Kirche und berühre damit einen wunden Punkt.“ Hermaphrodite provoziert damit selbst jene, die mit der Kirche nicht viel zu tun haben. Ziel ihrer Provokation sind jene, die Anteil an der subtilen moralischen Unterdrückung haben, jene, die dazu beitragen, daß sich grausame Gewalt privatisiert und immer häufiger in Sadomaso-Spielen ausgelebt wird. Wenn sie diese in ihren Performance-Modeschauen inszeniert und außerdem mit faschistoid anmutenden Aufmärschen modeinteressierte ZuschauerInnen verwirrt, gleichzeitig jedoch mit Prunk begeistert – dann gehört dies zu ihrem Konzept: Über die Irritation will Hermaphrodite Widerspruch und Bewußtsein wecken. Hermaphrodites Kitsch: eine ebenso wollüstige wie bissig-rauhe Verpackung für Gesellschaftskritik.

ca. 21 Uhr, im E-Werk, Wilhelmstraße

Für die Leselust: Peter Ward: „Kitsch as Kitsch Can. Ein Konsumführer für den schlechten Geschmack“; ElefantenPress.

Harry Pross (Hrsg.): „Kitsch. Soziale und politische Aspekte einer Geschmacksfrage“; List Verlag.

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