Wand und Boden: Vom Knappen weniger, vom Reichlichen mehr!
■ Kunst in Berlin jetzt: Rudolf Heltzel, Marcus Taylor, Richard Serra
Von manchen Leuten sagt man, sie hätten ein gutes Auge. So gibt es auch Künstler, die haben ein gutes Auge für die Kunst. Mühelos tradieren sie tradierte Genres, unberührt von den Zweifeln der Moderne.
Zu diesen gehört auch der Aquarellmaler Rudolf Heltzel – und, ehrlich gesagt, sind die bescheidenen Realisten, was die bohrenden Fragen der Kunst betrifft, mir immer noch lieber als die heimwerkenden Plagiatoren von Léger bis Feininger. Heltzel, laut Katalog „zu Zeiten der k.u.k. Monarchie 1907 in Habstein bei Böhmisch-Leipa geboren“, aufgewachsen in Kreuzberg, ist einer von denen, die sich bestimmte Fragen nie gestellt haben und deshalb Dinge ins Bild setzen können, die andere bestenfalls zur Verzweiflung bringen würden. Die „Sendetürme“ bei Königs Wusterhausen spiegeln sich traut im Wasser, und „Bei Neu-Vehlefanz“ liegt der Schnee auf den Dächern wie später in Bullerbü. Soviel zu den zwanziger Jahren.
Erstaunlicher – einnehmend schlicht und heiter – sind die Arbeiten um 1943, zum Beispiel die Kirchen von Gatschina. Die Aquarelle sind, was man ihnen wirklich nicht ansieht, Notizen eines Eroberers, gewissermaßen Produkt nebenberuflicher Tätigkeit eines hauptberuflichen Soldaten; sie sind Teile eines Auftragswerks der deutschen „Frontbuchhandlung“ in Riga und waren als Vorlage für ein Mappenwerk gedacht – heute findet man derlei Bilder nur noch auf Kalenderblättern oder eben im Deutschlandhaus in der Stresemannstraße 90, wo man auch noch den Katalog der Ausstellung über „Große Schlesier“ käuflich erwerben kann. Mit fahlem Licht und kahlen Gängen, mit der kulturellen Patina eines kabakovschen Büros, bewahrt das Haus glaubhaft die Atmosphäre des Kalten Kriegs; irgendwie meint man, es rieche sogar nach DDR.
So findet Heltzel sein Publikum: Ältere Menschen, die im Mantel durch die Ausstellung schreiten und sich an irgend etwas erinnern; wenn nicht die Heimat, dann an einen tradierten Kunstbegriff. Ich glaube nicht, daß es der angebliche „Realismus“ ist, den sie suchen in diesen Bildern, sondern eben das Tradierte: das Dörfliche am Dorf, das Landschaftliche an der Landschaft. Was Heltzel beherrscht, ist jene sichere Wahl des Standpunkts, die ein Ideologem dieses Jahrhunderts in Szene setzt: das Typische. Auch nach den beiden deutschen Kriegen findet er in der Nähe des Brandenburger Tors (1985) und an der S-Bahn in Schöneberg (1978) Motive, die ohne jeglichen Einsatz dramatischer Mittel eine Atmosphäre festhalten, die zweifellos „typisch West-Berlin“ war.
Bis zum 17.10., täglich 14–18 Uhr
Maßstäblichkeit war eines der großen Themen der achtziger Jahre; „Modellbauer“ in Düsseldorf und Hamburg. Der endgültige Traum ist das Haus, das gleichzeitig sein Abbild ist; und Marcus Taylor wagt sich nah heran an das Haus im Haus. Man betritt die Galerie im zweiten Hof der Wilmersdorfer Straße 60/61 und steht vor einem weißlichen Kasten, der auf weißlichen Schienen steht und auf dessen Dach weißliche Schienen liegen; ein schwebendes Bauhaus-Iglu, das, wie man beim Herumgehen entdeckt, auf der Rückseite geöffnet ist.
Im Inneren ist ein weiterer Kasten ähnlicher Bauart eingehängt. Die Arbeit, montiert aus -zig Elementen durchsichtigen Acryls, das an der Oberfläche geschmirgelt ist, hat etwas Karges und zugleich etwas extrem Gewolltes. Es ist gewissermaßen die Luxusausgabe eines Traums. Aber irgend etwas fehlt dennoch, damit das Ding richtig abhebt; Taylor ist vielleicht noch befangen zwischen den Verlockungen des Haptischen und der betäubenden Wirkung gelungener visueller Abstraktion. In London hat er ähnliche Arbeiten in einer aufgelassenen Fabrik gezeigt, und auch in dem Berliner Atelier in Charlottenburg, wo er vor ein paar Monaten vier Stück in ziemlicher Enge kurzfristig präsentierte, gab es einen Zuwachs an Aura per location. In Bruno Brunnets Galerie, die ja selbst kaum mehr ist als ein weißer Kasten, ist Taylors „Kunstwollen“ noch präsent, also von der Arbeit im Augenblick ihres Öffentlichwerdens nicht abgefallen, was sie schwächt. Irgendwie braucht es vom Knappen noch weniger (mehr Coolness) oder vom Reichlichen sehr viel mehr. Fast bedauerlich ist es, daß Taylor seinen „Elevator 1“, wie er heißt, der Form seines Atelierfahrstuhls nachgebaut hat: Die Duchampschen Referenzen führen zu sofortigem, aber dauerhaftem Gähnen.
Auffallend ist die handwerkliche Präzision und der wohlüberlegte Einsatz von Material (der „Elevator 1“ läßt sich auseinanderschrauben). Verglichen damit, sind die meisten Berliner Künstler faul.
Bruno Brunnet Fine Arts, bis zum 28.9., Mo.–Fr. 10–18.30, Sa. 10–15 Uhr
Mit Richard Serra wagt sich die Galerie Pels-Leusden an die Kunst der Jetztzeit. Verglichen mit den Skulpturen wirken Serras Papierarbeiten nicht imposant, aber sie sind eigenständige Arbeiten, nicht Skizzen eines Bildhauers. Je nach Technik – mit schwarzer Ölkreide überarbeitete Lithographie oder überarbeiteter Siebdruck – variiert die Tiefe der Schwärze. Im vorderen, großen Raum (im Erdgeschoß) der Villa Griesebach hängen zwei Arbeiten: eine zweiteilige Arbeit mit fransigen Rändern („Double Jack“, 1990) und gegenüber „Reykjavik“ aus dem gleichen Jahr: zwei schwarze, wie mit einem riesigen Pinsel aufgebrachte Flächen auf einem großen Blatt, das signiert ist. Was bei „Double Jack“ wegen der randabfallenden Schwärze nicht möglich ist. „Reykjavik“ sieht aus wie Informel (die Geste zählt), „Double Jack“ ist nur als konzeptuelle Arbeit zu begreifen (das Spiel mit dem imaginären Loch in der Wand, der Wand als Bildgrund, die subtile Grenze sich überlappender Schwärzen). Wie weit sich die Arbeit von der Strenge der Skulptur entfernen kann, sieht man an einem Blatt, das glaslos in einen Rahmen gehängt ist: So kommt das Blatt als Objekt des Kunsthandels an die Öffentlichkeit – durch ängstliche Sammler seiner Wirkung beraubt.
Fasanenstraße 25, bis zum 16. November, täglich 10–18.30 und samstags 10–14 Uhr, sowie nach Vereinbarung Ulf Erdmann Ziegler
Wer, um die Kunst Jo Schöpfers zu sehen, sich in die Friedbergstraße 34 begab, fand dort die Galerie Tilly Haderek + Klaus Fischer, deren Namen wir vergaßen zu erwähnen.
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