: Vierzig Regalmeter Barbie
■ Der weltweit operierende Spielzeug-Handelskonzern Toys "R" Us jetzt auch in Berlin vertreten / Plastik ist Trumpf, "langsames" Spielzeug fehlt in den Regalen
Wären da nicht die riesigen Blechquader von Ikea, Teppich Kibek und Möbel Höffner, man könnte das Gelände in Waltersdorf im Südosten Berlins für den Mauerstreifen halten. Hohe Laternen stehen zwischen großen Haufen von Erdaushub in Reihe, dazwischen irren Autos auf noch nicht korrekt ausgeschilderten riesigen Parkplätzen herum. Mittendrin grüßt plötzlich ein bunter Schriftzug, dessen Buchstaben aufgeblasen tanzen: Toys „R“ Us.
Hier in der Gewerbewüste direkt an der Autobahn wurde am vergangenen Wochenende die erste Berliner Filiale des Spielzeug- Selbstbedienungsriesen eröffnet. Toys „R“ Us („Spielzeug, das sind wir“) bedeutet genormte 4.200 Quadratmeter Spielzeug-Supermarkt, die nur dahin gesetzt werden, wo sie in 20 Minuten von einer halben Million Menschen per Auto erreicht werden können.
Toys „R“ Us operiert weltweit und setzt mehr als sieben Milliarden Dollar jährlich um. In Deutschland gibt es schon 35 Filialen, rund um den Globus sind es mehr als 600. 25 Prozent Marktanteil sind in Europa angepeilt.
Bei Toys „R“ Us ist alles aus Plastik: die 40 Regalmeter Barbie, die Cole-Porter-Musik, die von der Decke scheppert, die VerkäuferInnen. Nein, noch sind es keine Roboter, die kassieren – aber alle tragen sie den gleichen Button: „Fragen Sie mich. Ich helfe Ihnen gerne.“ – Doch mit der Beratung hapert es hier, sie ist im Geschäftskonzept auch gar nicht vorgesehen. Die Ware als Masse soll es machen. Lange muß man durch die aseptischen Gänge irren, in denen die Spielzeuge fünf Meter hoch gestapelt stehen, bis man endlich jemand findet, der weiterhilft. Der zum Beispiel die Glasvitrine aufschließt, in der die zerbrechliche und teure Ware zu besichtigen ist: bunte Armbanduhren, Schachcomputer, Märklineisenbahnen, große Nintendos, eine Dampfmaschine. Verloren stehen auch Erwachsene vor der etwa 60 Meter langen Wand aus Gesellschaftsspielen, alphabetisch aufgeschichtet von A wie „Affenschreck“ bis Z wie „Zorro“. Wer traut sich, einen Ziegel aus dem Wall zu ziehen?
Überhaupt ist es schwer mit dem Spielzeugkontakt, alles ist noch original eingeschweißt, eine Spielecke gibt es nicht. Deshalb drängen sich die Kinder um die paar Dinge, die zugänglich sind: die vier Probe-Bildschirme für Game-Boy-Spiele, das 10 Stundenkilometer schnelle elektrische Käfer-Cabrio für rund 1.000 Mark. „Mensch, die fahren echt!“ Die Schaukelpferde stehen so unters Regal geklemmt, das man sie nur streicheln, aber nicht reiten kann.
Ausprobieren ist nicht, was zu allerlei Gequengel führt. Ungeduldig hantieren die Kleinkinder mit überdimensionalen Packungen, die sich nicht mal zur Selbstberuhigung in den Mund stecken lassen. Skateboardfahren in den Gängen ist ebenso verboten wie das Mitführen von Getränken, Eis, Zigaretten, Fotoapparaten und Hunden.
Toys „R“ Us – die saubere neue Einkaufswelt, ist ein sehr amerikanisches Unternehmen. Auf der Umschlagseite der PR-Broschüre „Ziel 2000“ grüßen der Gründer des Unternehmens, Charles Lazarus und zwei seiner Manager – lächelnd wie die Oberhäupter einer Psychosekte oder das Herausgebergremium von Reader's Digest. Mit markigen Sätzen beschreiben die „Weltmarktführer“ ihre Spielzeug-Demokratie: „Die Firmen- Philosophie geht von der Erkenntnis aus, daß 60 Prozent der Spielwaren in aller Welt gleich sind.“ Oder: „Kommt einmal ein Ladenhüter in die Märkte, dann wird er sofort von der zentralen EDV identifiziert. Der Langsamläufer wird ausgemustert. Also stellt der Kunde sein Sortiment selbst zusammen.“ Kein Wunder also, daß sich hier kein „langsames“ Holzspielzeug findet und Papierwindeln Vorrang vor Ravensburger Kinderbüchern haben. 36.000 Artikel bietet Toys „R“ Us für das Leben zwischen 0 und 15 Jahren, vom „Aktivitätsbadesitz“ bis zum „Laptop Junior“.
Das Geheimnis der angeblichen „Super-Dauer-Niedrigpreise“ sind die großen Abnahmemengen, Lopez-mäßiges Kostenmanagement und die zentrale Logistik. „He- Man“ und die „Ninja Turtles“ rollen erst dann an, wenn sie wirklich wieder gebraucht werden.
Führt die Dauerexpansion der Spielzeugkette („Bis zur Jahrtausendwende 150 Standorte in Zentraleuropa“) zu einem Verdrängungswettbewerb gegen den etablierten Einzelhandel? Natürlich nicht, meint Toys „R“ Us: „Der Spielzeug-Kuchen ist beinahe unermeßlich.“ Auch Willy Fischel vom Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels wiegelt ab: Die kleineren Händler hätten „Beratung“ und „Service“ auf ihrer Seite. Zu „Verschärfungen des Wettbewerbs“ könne es wohl kommen, nicht aber zu „extremen Reaktionen“. Doch Gründe wird es wohl gehabt haben, daß örtliche Fachhändler beim Neubau von Toys-„R“-Us-Märkten vielfach bei Baubehörden gegen den mächtigen Gegner intervenierten.
Flaue Nachmittagszeit im Waltersdorfer Supermarkt. Nur eine der vierzehn Kassen ist geöffnet. Dennoch geht kaum eine Familie unter einer Summe von 50 Mark durch. Der Anfahrtsweg muß sich lohnen. Und geht das Bargeld mal aus, tröstet das Schild am Tresen: „Eurocheques werden von unseren Kassen automatisch ausgefüllt.“ Hans-Hermann Kotte
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