: Radio Maria und die Madonna von Fatima
Während Polens Linke den wachsenden Einfluß der katholischen Kirche beklagt, sieht diese sich selbst bedroht: Mit Radio Maria soll nun gegen Hedonismus und Pornographie gekämpft werden ■ Aus Torun Klaus Bachmann
Es ist 5 Uhr 45, vor dem Fenster geht die Sonne auf, Pfarrer Jan Mikrut stellt das Mikrophon an: „Hier Radio Maria, die katholische Stimme in unseren Häusern. Gelobt seien Jesus Christus und Maria, auf ewig Jungfrau.“ Wer jetzt sein Radio auf 96,5 MHz eingestellt hat, für den beginnt der Tag mit einem Morgengebet, eine Messe wird übertragen, die Stunde zwischen 8 und 9 Uhr ist der „Verehrung der Unbefleckten Empfängnis der Allerheiligsten Muttergottes“ gewidmet, später wird dann aus der katholischen Presse vorgelesen, die Nachrichten werden von Radio Vatikan übernommen. Mikrut hat mit zahllosen ehrenamtlichen Mitarbeitern aus ganz Polen in einem Häuschen im pommerschen Torun (Thorn) ein modernes Studio eingerichtet.
Mikrut steigt eine steile Kellertreppe hinab und öffnet eine Holztür. Wir befinden uns in einer winzigen, mit Holz ausgeschlagenen Kapelle, in deren Mitte ein geschmückter Altar und eine Madonnenstatue stehen. Die Madonna hat eine Krone, die aus von Hörern gespendeten Fingerringen und Schmuck gebastelt wurde. „Jeder kommt hier runter, bevor er auf Sendung geht“, verkündet Mikrut, „um sich aufzuladen. Ohne das wären wir bald ganz ausgepumpt.“ Radio Maria existiert seit anderthalb Jahren, aber erst seit Primas Glemp Ende März dieses Jahres die Satellitenstation geweiht hat, strahlt es seine Sendungen über das ganze Land aus.
Das Redaktionsgebäude wird zur Zeit gerade ausgebaut. Daß der Lokalsender, betrieben von einigen Mönchen des nahe gelegenen Redemptoristenklosters, expandieren konnte, verdankt er nach Aussage der Mönche einigen anonymen, aber äußerst potenten Spendern aus Deutschland und der Schweiz.
Der Erfolg bei Polens Katholiken geht dagegen vor allem darauf zurück, daß das Radio als eine Art Kummerkasten funktioniert. Den ganzen Tag gehen im Studio Anrufe ein, die sofort und „ohne Filter“ gesendet werden. Zusammengenommen ergeben sie das paradoxe Bild einer Gesellschaftsgruppe, die in einem Gefühl beständiger Bedrohung lebt. Zu einer Zeit, in der der überwiegende Teil der polnischen Presse, des Bildungsbürgertums und der liberalen Öffentlichkeit den Eindruck hat, Polens katholische Kirche expandiere und enge die bürgerlichen Freiheiten immer mehr ein, haben Polens kirchentreue Katholiken das Gefühl, einer Bewegung ausgesetzt zu sein, die die Vernichtung ihrer Kirche, des katholischen Glaubens und ihrer Identität zum Ziel hat.
In den Büros von Radio Maria liegen Unterschriftenlisten aus, in denen gegen Pornographie, Brutalität und Hedonismus im staatlichen Fernsehen protestiert wird, empörte Hörer rufen an und bezeichnen erfolgreiche Schlager als Angriff auf Kirche und Religion, weil darin von außerehelicher Liebe die Rede ist. Radiochef Tadeusz Rydzyk, einer der Mönche, macht dabei ganz und gar nicht den Eindruck eines entrückten Sektierers. Der fröhliche, Jovialität ausstrahlende Pfarrer war sechs Jahre in Deutschland und überlegt ständig, ob der Audi, den er da geschenkt bekommen hat, nicht zu pompös für einen polnischen Priester ist. Außerdem war er auch fast ein dutzendmal in Medjugorje, dem von der Kirche nicht anerkannten Marienwallfahrtsort in Bosnien, den bis zu seiner Bombardierung im letzten Jahr Millionen Marienverehrer aus ganz Europa besuchten. Jetzt gibt er das Mitteilungsblatt der Medjugorje- Anhänger auf polnisch heraus. Daß sich von der Kirche jemand bedroht fühlen könnte, nein, das kann er sich beim besten Willen nicht vorstellen: „Jemanden bedrohen, das ist dem Wesen der Kirche doch völlig fremd“, schüttelt er entsetzt den Kopf.
Für Polens Katholiken ist nichts mehr, wie es war. Wenn Pfarrer Rydzyk heute in die Stadt fährt, kommt er an mehreren Sexshops vorbei. An den Kiosken werden neben kirchenkritischen Zeitungen heute auch Präservative und Pornohefte verkauft, an allen Ecken expandieren Waffenläden, Geschäfte, die früheren Kommunisten oder Wirtschaftskriminellen gehören, gegen die die Regierung machtlos ist. Wenn Rydzyk den Fernsehapparat einschaltet, flimmern dümmliche US-Serien, billige Kindercomics und brutale Actionserien über den Bildschirm. Auch die Polizei hat keinen Respekt mehr vor dem Kirchenmann. Nach Drohanrufen, er werde enden wie der Priester Popieluszko (der 1984 von der Geheimpolizei ermordet wurde), sei er eines Nachts von sage und schreibe vier Polizeilimousinen verfolgt worden.
Zugleich jedoch seien Drohanrufe beim Radio keine Seltenheit, während einer Sendung in Lodz hätten Unbekannte stundenlang die Stromzufuhr unterbrochen. Wer heute Einlaß ins Radio begehrt, wird von einer Videoanlage aufgenommen, nachts bewacht ein halbes Dutzend Freiwilliger die Studios. Pfarrer Rydzyk ist überzeugt, daß er es mit einer organisierten Aktion gegen den polnischen Katholizismus zu tun hat, jede Unannehmlichkeit wird in seinem Kopf zum Teil eines großen Ganzen: von Drohanrufen bis zu gehässigen Zeitungsartikeln.
Gegen Freimaurer und jüdische Intellektuelle
Ein Mitarbeiter nennt den Feind beim Namen: „Die Freimaurer. Passen Sie auf sich auf, wenn Sie die suchen wollen“, rät er gleich fürsorglich. Freimaurer, das sind alle diejenigen, die von der Solidarność-Bewegung abgesprungen sind und heute die Kirche kritisieren: Leute wie „Geremek und Mazowiecki“. Viele von denen seien auch noch jüdischer Herkunft: „Ich bin kein Antisemit, um Gottes willen, aber solche Leute haben natürlich ein anderes Verhältnis zu unserem polnischen Staat.“
Verschwörungstheorien haben es an sich, daß das Fehlen von Beweisen für ihre Existenz sie nur noch bestätigt – wäre alles offenbar, handelte es sich ja nicht um eine Verschwörung. Dagegen läßt sich jedes zufällige Indiz bestens einbauen: „Alle reden von einer einheitlichen europäischen Regierung, von einer europäischen Währung. Das ist das Werk der Freimaurer, die wollten schon immer eine Weltregierung“, zeigt sich ein vierzigjähriger Familienvater überzeugt.
Anders als noch vor drei Jahren ist auch Walesas Ansehen bei den Strenggläubigen gesunken. Die Renten früherer Apparatschiks habe er vor Kürzungen bewahrt und die Agenten der Geheimpolizei vor der Demaskierung: „Walesa?“ schüttelt der Mann den Kopf, „wer weiß denn schon, wen der heute repräsentiert. Der trägt zwar die Mutter Gottes am Revers, aber was heißt das schon. Im Herzen sollte er sie tragen.“
Nach Torun gekommen ist der Mann mit Frau und Kindern zusammen mit einer Pilgergruppe aus Bydgoszcz (Bromberg), die eine Kopie der Madonna von Fatima hergefahren hat. Die steht jetzt weiß und strahlend in einem ebenfalls von Deutschen gestifteten Schrein aus Panzerglas. Für die 50 Kilometer Anfahrt wurde ein Lieferwagen mit Sitzmöbeln, Teppichen und blumengeschmückten Gardinen ausstaffiert. Die Madonna verbrachte den Transport wie in einem Erster-Klasse-Schlafwagen des Orientexpreß. Jetzt hat sich eine Gruppe von dreißig Bewunderern aller Altersgruppen, darunter einige Nonnen und Kinder, im Vorgarten des Radios eingefunden. „Wir haben ihre Ankunft geheimgehalten“, flüstert Pfarrer Rydzyk, „sonst würden wir hier von den Massen erdrückt.“
An diesem Tag ist nicht nur Maria Himmelfahrt, sondern auch noch der 73. Jahrestag des „Wunders an der Weichsel“, jener Schlacht, in der die polnischen Truppen 1920 bei Warschau die Rote Armee entscheidend schlagen konnten und – so ist man in Polen überzeugt – Europa damit vor einer Invasion des Bolschewismus bewahrten.
Polen als Vorreiter des christlichen Abendlandes, der Evangelisation und als Bollwerk gegen den Unglauben, der heute aus dem Westen kommt – das ist das Bild, von dem katholische Patrioten an solchen Tagen gerne träumen und das doch so gar nicht zu der sie umgebenden Wirklichkeit passen mag. „Der Satan läßt es nicht zu“, behauptet Rydzyk, dessen Augen hinter den Brillengläsern leicht funkeln, als rechne er mit Widerspruch gegen solche Sprüche.
Heute jedoch ist der „Satan“ machtlos, denn im Radio sind sich alle einig, und Kritik gibt es höchstens, wenn einer zu laut mit den Türen knallt, denn das gehört sich nicht, wegen der Madonna in der Kellerkapelle. Das Radio feiert den Tag mit der Übertragung einer Predigt von Primas Glemp in Tschenstochau, der seinen Gläubigen mit einer heftigen Predigt gegen „Pornographie und Erotismus“ aus der Seele spricht. Am Abend wird es eine Sondersendung über sowjetische Verbrechen an Polen geben, an der ein Vertreter der örtlichen „Kommission zur Untersuchung der Verbrechen gegen das polnische Volk“ teilnehmen wird. Dazwischen läuft eine Kindersendung, die zum Teil von Kindern selbst gemacht wird.
Die Sprache der katholischen Verschwörer
Daß das alles recht laienhaft und improvisiert abläuft, die Sendezeiten nicht eingehalten werden und das Programm auch mal überstürzt geändert wird, stört niemanden – im Gegenteil. „Wir lieben Radio Maria so, weil es nicht anonym ist. Weil wir da anrufen können, weil es zu uns in die Pfarrei kommt“, begeistert sich einer. Die Redaktion fährt regelmäßig aufs Land und nimmt Sendungen in den Pfarreien auf. Als Pfarrer Rydzyk in Bialystok Messe hielt, kamen über 8.000 Gläubige. Für alle, die mit der neuen Wirklichkeit nicht zurechtkommen, ist das Radio ein Orientierungspunkt. „Nach dem Zerfall von Solidarność ist ein Vakuum entstanden“, erklärt ein Familienvater, „das füllt für uns jetzt die Kirche aus.“ Eine Frau um die Fünfzig, verheiratet mit einem Alkoholiker, erzählt, wie ihr Radio Maria geholfen habe, mit ihrem Eheproblem fertigzuwerden: „Ich habe das Problem an Gott abgegeben. Jetzt habe ich viel mehr Distanz dazu.“
Radio Maria ist die belagerte Burg, in die sich Polens konservative Katholiken im Religionskrieg zurückgezogen haben. Sie haben eigene Erkennungszeichen und eine eigene Sprache. Wenn die Redakteure im Studio den Hörer abheben, sagen sie nicht „hallo“, sondern „Gelobt sei Jesus Christus“, und immer antwortet eine Stimme am anderen Ende „In Ewigkeit Amen“. Dann erst beginnt das Gespräch, das immer mit der Floskel „sei mit Gott“ endet. Und so vermittelt jede Sendung die Wärme eines Verschwörerzirkels, das Gefühl, „unter sich“ zu sein.
Bestätigt werden die Treuesten der Treuen der katholischen Kirche von Polens nationaler Rechter, dem Zentrum und den Christnationalen, die den persönlichen Ängsten der Gläubigen den politischen Anstrich geben. So hatte Pfarrer Rydzyk vor wenigen Wochen Polens christnationale Senatsvorsitzende Alicja Grzeskowiak zu einer Diskussion eingeladen. Und diese hat ihm und Hunderttausenden Hörern im Land dann eine der Grundüberzeugungen der Leute von Radio Maria ganz offen bestätigt: Ja, es sind die Freimaurer, die hinter den Attacken auf die Kirche und damit auch auf Polen stehen.
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