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Barabas aber war ein Jude

■ Ab heute zeigt das TAB Marlowes „Berühmte Tragödie des reichen Juden von Malta“: Wie schlecht darf ein Jude im Theater sein?

Die taz traf sich vorab mit Chris Alexander (Regie, Übersetzung) und Peter Kaempfe (Schauspieler) vom TAB und wollte vieles wissen.

Worum geht's?

Chris Alexander: Es geht einmal darum, was diesen reichen Juden Barabas geschieht. Daß ihm auf fürchterliche Weise sein ganzes Hab und Gut weggenommen wird. Und noch viel fürchterlicher rächt er sich an den Christen, die ihm alles weggenommen haben, nämlich am Gouverneur von Malta, indem er seinen Sohn umbringt. Dieses Verbrechen zieht andere Verbrechen nach sich - eine grauenvolle Spirale der Gewalttätigkeit - und endet dann in seinem eigenen Untergang, der genauso grauenvoll ist. Aber das ist nicht das einzige, was Marlowe behandelt. Er hat diesem Juden einen Vertreter des Christentums, den Gouverneur, beigesellt und dazu auch noch einen Moslem, einen Anführer der türkischen Flotte. Letztlich behauptet er, daß wenn es darum geht, Macht und Besitz zu erwerben, alle die Prinzipien ihrer Religion weit hinter sich lassen und sich für ihre eigenen Interessen in Gewalttätigkeit und Brutalität übertreffen.

Was fasziniert euch daran?

Alexander: Die Behauptung, daß die Vertreter aller Religionen sich in gar nichts unterscheiden. Daß sie ähnlich wüst sind. Und, nachdem wir viel Shakespeare gespielt haben, einen anderen Volkstheatervertreter und Zeitgenossen zu untersuchen. Marlowe ist ja ein großer Zyniker. Er hat das sehr hauruckmäßig auf die Bühne ge

Beim Proben: Rudolf Höhn und Anke EngelsmannFoto: Frank Pusch

bracht, anders als bei Shakespeare. Schnellstmöglich von einer Tat zur nächsten zu kommen, das ist sein Prinzip. Bis am Ende alle tot sind, bis ganz Malta zerstört ist. Das stelle ich mir vor wie das zerbombte Berlin. Echt zappenduster.

Peter Kaempfe: Dieses Stück ist in Deutschland nach 1945 sehr selten gespielt worden - aus gutem Grund. Nachdem wir festge

hierhin bitte

das Theaterfoto

mit zwei

Schauspielern

stellt haben, daß das Stück nicht an sich schon antisemitisch ist - oder wir es wenigstens nicht so lesen -, hat mich interessiert ob das in den Griff zu kriegen ist. Wie spielt man heute in Deutschland einen bösen Juden? Kann man das, darf man das, schafft man das?

Man könnte sagen, daß Barabas beim Publikum zwar Sympathien erweckt, daß diese Sympa

thien aber nur ein Kontrapunkt zur eigentlichen Baßlinie des Stückes sind, die den Juden theologisch verurteilt. Wie seht ihr das?

Kaempfe: Das kann ich nicht so lesen. Wir haben ja zwei entscheidende Prozesse mit dem Stück durchgemacht. Beim allerersten Lesen habe ich gedacht, das können wir nicht aufführen. Aber in der Auseinan

dersetzung stellte ich fest, daß das nicht so ist.

Im Stück sagt ein christlicher Ritter zu Barabas sinngemäß: Nun hast du alles verloren, aber das ist nur die Strafe für deine angeborene Sünde. Das ist theologisch ummäntelter Antisemitismus - ihr habt das gestrichen.

Alexander: Ja. Das war der Ansatz, wie er 1590 für ein Publikum richtig war, wo man in England Juden nur aus Geschichten kannte - es gab dort keine Juden. Da mußte Marlowe dem Publikum etwas Stoff liefern, damit es so eine Figur greifen konnte. Die ist sicherlich monströser gewesen, als was wir hier aufführen wollen. Wir haben sehr viel von der Monströsität herausgenommen, um unseren Punkt zu machen. Aber wir entstellen Marlowe damit nicht, sondern stellen ihn für ein heutiges Publikum in einem klareren Licht dar. Im Vorspann sagt Machiavelli ja: Schaut euch an, was diesem Juden geschieht und bewertet das für euch. Im Jahr 1993 schaut ein Publikum in Bremen auf so etwas sehr anders an als ein Publikum 1590 in London.

Kaempfe: Wir historisieren unsere Stücke nicht, sondern Übersetzen sie im wahrsten Sinne des Wortes: Wenn jemand Macht will, geht jedes andere Prinzip über Bord.

Alexander: Das Individuum wird dabei betrachtet, kollektiv über Religionen sagt das Stück nicht viel aus - in unserer Fassung sowieso nicht.

Dennoch hat das Stück im 16. Jahrhundert antisemitische Gefühle in der englischen Bevölkerung bedient. Mit welchem Gefühl seid ihr da rangegangen?

Alexander: Uns war sehr mulmig. Im Probenprozeß haben wir festgestellt, daß wir auf einem heißen Pflaster arbeiten, wenn wir Chiffren benutzen, die aus dem „Dritten Reich“ bekannt sind. Und das hat Konsequenzen gehabt. Dieser Jude, den wir darstellen, hat besondere Eigenschaften und ein Äußeres, das ihn völlig abrückt von diesem Bild, was bis 1945 so furchtbar dagewesen ist und seitdem die deutsche Rezeption sehr stark prägt. Die Antwort auf die Frage ist: Wir hatten große Skrupel.

Kaempfe: Es passieren auch eigenartige Sachen bei öffentlichen Proben. Einmal zum Beispiel reibt Barabas sich die Hände. Prompt kommt als Reaktion die Chiffre „Jude - diskriminierend“. Die Leute wollen die Klischees auch sehen, die projizieren das da rein.

Was wollt ihr erreichen?

Kaempfe: Eine Wachheit für diesen Umstand: Kaum reibt sich einer die Hände, geht in vielen Köpfen so etwas los. Da muß man aber über sich selber nachdenken. Das wäre toll. Fragen: Eva Rhode

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