: Widerstand in Wilhelmsburg
■ Initiativen und Politiker mobilisieren gegen neue Müllverbrennungsanlage: „Vahrenholts Waterloo?“ Von U.Exner
Klaus Schäfer bemüht sich erst gar nicht um eine hochwissenschaftliche Begründung. Warum er die geplante Müllverbrennungsanlage im Wilhelmsburger Industrieviertel Neuhof ablehnt? „Das ist ganz einfach. Die Wilhelmsburger reagieren schon beim Wort Müll allergisch.“
Schäfer steht mit seiner Sicht der Dinge keinesfalls allein im sogenannten Problemstadtteil, in dem 16 Prozent der wenigen Wähler rechtsextrem votierten und den Senatschef Henning Voscherau gerne heranzieht, wenn er über soziale Probleme dieser Stadt philosophiert. Mit Schäfer streitet ein Zusammenschluß Wilhelmsburger Initiativen und Vereine. Mit ihm streiten auch die Stadtteilpolitiker. Vehement und parteiübergreifend: „Der Standort Neuhof muß fallen“ (GAL); „Mit falsch gebauten Städten kann man eine Demokratie ebenso zerstören wie durch ein totalitäres System“ (SPD); „Wilhelmsburg ist und bleibt der Mülleimer Hamburgs“ (CDU).
Dabei hatte sich die Umweltbehörde alles so schön vorgestellt. 289 mögliche Standorte hatte die Umweltbehörde gesichtet und sortiert: Umweltverträglichkeitsgutachten, Verfügbarkeit der Grundstücke, Nutzungsmöglichkeiten für die Abwärme. Klarer Sieger für die auf 240.000 Jahrestonnen ausgelegte Anlage (MVA): Die Nippoldstraße in Neuhof, direkt neben der Köhlbrandbrücke.
Industriegebiet: Die Ölmühle Hamburg stinkt vor sich hin, Lastwagen scheppern über das Brückenungetüm, ein Ölheizkraftwerk verpestet die Luft. Wenn man schon auf Müllverbrennung setzen muß, um Hamburgs Müllbergen ohne die Deponie Schönberg zu bewältigen: Warum dann nicht hier. Zumal die Umweltbehörde die MVA exakt an die Stelle des Heizkraftwerks setzen will und versichert, daß die Schadstoffbelastung durch diesen Tausch um rund 90 Prozent gesenkt werden könnte. Überzeugend, oder?
Nicht für die Wilhelmsburger. Haben sie nicht schon die Dioxin-Kippe in Georgswerder, den ewigen Durchgangsverkehr, die Schadstoffe der Norddeutschen Affi? Sind sie nicht schon „Armenhaus und Müllplatz Hamburgs“? Haben sie nicht allen Grund zu fordern: „Schluß mit dieser Politik“?
Drei Tage vor Weihnachten hatte der Senat das Bezirksamt Harburg von den Neuhof-Plänen in Kenntnis gesetzt. Bis zum 6. Januar sollte der Bezirk Stellung nehmen. Bürgerbeteiligung? Chance der örtlichen Politiker, sich zu informieren über Für und Wider? In den Weihnachtsferien?
Statt dessen erhalten die Wilhelmsburger die freudige Nachricht über die Pläne des Umweltsenators durch das freudig erregte Hamburger Abendblatt: „Der Coup mit dem Müll - ein Plan, sechs Vorteile.“ Schon möglich, daß aus Vahrenholts Coup nun „Vahrenholts Waterloo“ wird, wie es die Wilhelmsburger Initiativen ein wenig martialisch ausdrücken. Des Umweltsenators Neuhof-Drucksache wird entgegen sonstigen Gepflogenheiten derzeit noch einmal überprüft.
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