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Optimismus bei Ärzten und Behandlern aus den Industrieländern, Depression bei den Epidemiologen. So gut die neuen Wirkstoffe gegen die HIV-Infektion sind, so schlecht sind die Daten über die rasante Ausbreitung der Krankheit. Hauptthema auf dem 11. Welt-Aids-Kongreß, der gestern in Vancouver begann, ist die „Revolution in der Therapie“: Durch den kombinierten Einsatz von Medikamenten und die Direktmessung der Virusmenge im Blut. Auf der Tagesordnung steht aber auch die Stagnation im Kampf gegen dieInfizierung in armen Ländern. Von Manfred Kriener

Bessere Therapie – für die Armen unerreichbar

Nach 15 Jahren Aids-Forschung regiert unter den Ärzten und Behandlern endlich der Optimismus. „Licht im Tunnel“, so lautet die meistgebrauchte Metapher unter den 15.000 Teilnehmern auf dem 11. Welt-Aids-Kongreß, der gestern abend im kanadischen Vancouver begann. Und das Licht hat einen Namen: Es heißt D4T, 3 TC, Crixivan, Norvir und Invirase. Diese fünf antiviralen Medikamente, allesamt in Deutschland noch nicht zugelassen, aber über die internationalen Apotheken bereits verfügbar, haben die drei bisherigen Mittel AZT, DDI und DDC ergänzt und so das Arsenal entscheidend erweitert.

Der Berliner Arzt Jörg Gölz, der in seiner Schwerpunktpraxis 600 HIV-Kranke betreut, spricht von einer „Revolution in der Therapie“. Seine Patienten sind mit dem kombinierten Einsatz der neuen Aids-Medikamente „dramatisch gesünder geworden“. Vor allem das Kaposi Sarkom, ein relativ häufiger aidstypischer Hautkrebs, ist stark zurückgegangen. Aber auch andere Infektionen werden seltener diagnostiziert. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen geht deutlich zurück. Hans Jäger hat in seiner Münchner HIV- Schwerpunktpraxis ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Vielen seiner Patienten geht es „so gut wie lange nicht mehr“. Erstmals glaubt der Behandler, daß „wir tatsächlich an eine Heilung herankommen können“.

Es sind aber nicht nur die neuen Medikamente. Entscheidend für den Fortschritt ist die seit vergangenem Jahr mögliche Direktmessung der Virusmenge im Blut der Patienten. Die Pharmafirmen Hoffmann LaRoche und Chiron Diagnostics haben zwei Verfahren entwickelt – Kosten: zwischen 200 und 300 Mark –, um die Anzahl der HIV-Kopien pro Milliliter Patientenblut zu bestimmen. Seitdem können die Ärzte erstmals nachprüfen, ob die von ihnen verordneten Medikamente überhaupt wirken und wie stark die Virusbelastung tatsächlich zurückgeht. Sie sehen auch, wie lange ein Mittel wirkt und können dann, bei auftretenden Resistenzen, rechtzeitig auf eine andere Medikation umsteigen. „Das ist wie die Blutzuckermessung beim Diabetiker“, vergleicht Jäger. Der Patient kann optimal eingestellt werden.

Die Virusmenge im Blut ist zudem – gemeinsam mit der Zahl der CD-4-Helferzellen des Immunsystems – ein wichtiger Indikator für den Beginn der Therapie. „Ab 100.000 Viren wird zurückgeschossen“, titelt das Magazin der Deutschen Aids-Hilfe. Jäger empfiehlt seinen Patienten den Beginn der antiviralen Behandlung sogar schon zwischen 10.000 und 50.000 Viren pro Milliliter Blutplasma – je nach Befindlichkeit und Symptomatik des Infizierten.

Mit Hilfe der neuen Medikamente und der Kontrollmessungen haben in München und Berlin viele HIV-Infizierte ihren Virusspiegel seit einem Jahr konstant unter der Nachweisbarkeitsgrenze von 500 Viren je Milliliter halten können. Meist werden zwei Medikamente als Kombinationstherapie gleichzeitig eingesetzt, wobei AZT (Handelsname: Retrovir) oder als Alternative D4T (Zerrit) unbedingt in den Zweierpack gehören. Nur diese beiden Mittel durchdringen die Bluthirnschranke und können so neurologische Komplikationen verhindern.

Wie die Therapie sonst aussieht, was als Zweit- oder Drittmittel gegeben wird, ist von Patient zu Patient und von Arzt zu Arzt verschieden. In den USA wird derzeit offenbar die Kombination von AZT und 3 TC favorisiert. Manche Ärzte setzen frühzeitig drei Medikamente ein, andere wie Jörg Gölz nur zwei, um „im Ernstfall noch ein drittes in Reserve zu haben“. Welche Behandlungsmethode am Ende die bessere ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Es gibt jedenfalls in der HIV-Therapie keinen goldenen Standard mehr. Ärzte und Patienten müssen mehr denn je ausprobieren und vor allem die Nebenwirkungen beobachten.

Zusätzliche Schwierigkeiten machten zuletzt die Krankenkassen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung wies die teure Virusmengenmessung zunächst als Maßnahme mit „experimentellem Charakter“ zurück und verweigerte die Kostenübernahme. Inzwischen scheinen die Kassen aber umzuschwenken und das „wertvolle therapeutische Hilfsmittel“ (Deutsches Aidszentrum) der Virenzählung in ihren Katalog der Regelleistungen aufzunehmen.

Trotz aller Fortschritte in der Aids-Therapie und berechtiger Hoffnungen, die HIV-Infektion in absehbarer Zeit wie eine chronische Krankheit kontrollieren zu können, bleiben Zweifel und Ängste. Zum einen hilft die neue Kombinationstherapie zwar den Infizierten, aber kaum den Kranken im fortgeschrittenen Stadium. Und die Nebenwirkungen sind nach wie vor erheblich. Etwa jeder fünfte HIV-Patient verträgt die antiviralen Medikamente schlecht. Das neue Aids-Mittel Crixivan verursacht immer wieder schmerzhafte Nierensteine. Norvir kann Taubheitsgefühle am Mund auslösen.

Zum anderen kostet die Kombinationstherapie im Jahr zwischen 20.000 und 30.000 Mark. Bei großzügiger Rechnung kommen allenfalls zwei Millionen von weltweit 27,9 Millionen Infizierten in den Genuß dieser Medikamente. Für die meisten der 19 Millionen Afrikaner mit HIV und der fünf Millionen Infizierten in Süd- und Südostasien bleibt die Therapie unbezahlbar. Hinzu kommt: Die schlimmen epidemiologischen Daten aus Afrika und Asien (vgl. dazu den Beitrag unten auf dieser Seite) kann auch das beste neue Aids-Mittel nicht vergessen machen.

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