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Erwärmte Herzen

Die Polizeiaktion „Wachsamer Nachbar“ und der Song „Hand in Hand“ veränderten das Leben  ■ von Silke Mertins

Es gibt Melodeien, die gehen einem durch und durch. Das Lied, das mein Leben veränderte, heißt „Hand in Hand“ und wurde gestern vom neuen Polizeipräsidenten Ernst Uhrlau (sein erster wichtiger Termin) in der Aktuellen Schaubude auf N3 vorgestellt.

Ich saß auf dem Sofa, als es geschah: Die glockenhelle Stimme des Hamburger Schlagersängers Michael Vogel eroberte mein Herz. Schon bei den ersten Worten „Tausende von Menschen leben einsam Tür an Tür“ wurde mir klamm: Wie recht er doch hat! „Komm, öffne deine Augen“ appellierte Michael, „mach den ersten Schritt.“ Ja! Ja, ich will! Dann der Höhepunkt: „Hand in Hand, fällt der erste Schritt auch schwer, Hand in Hand erreichen wir viel mehr.“ Ach Michael, du hast mein Herz erwärmt.

Ich ließ mir sofort von der Polizei die Unterlagen der Aktion „Polizei sucht Hände – Eine Aktion für sichere Nachbarschaft“, schicken. Denn ich will jetzt auch eine gute Nachbarin werden. Nicht wegen des Wettbewerbs für „besondere Initiativen“ mit Preisen im Gesamtwert von 30.000 Mark. Sondern aus Überzeugung und wegen Michael.

Ich fange also gleich an. Erster Merksatz: „Pflegen Sie Kontakt zu ihren Nachbarn.“ Ich gehe rüber zu Frau Kleinköter. „Hallo“, sage ich, „Wie geht's denn so? Fühlen Sie sich einsam? Haben Sie Angst, rauszugehen? Haben Sie vielleicht Milch?“ (Steht alles im Ratgeber. Und auch, daß man sich mal Milch von nebenan leihen soll). „Es geht mir gut, keine Probleme, keine Angst, keine Milch und vor allem keine Zeit: Verbotene Liebe kommt gleich.“ Tür zu.

Ich lasse mich nicht entmutigen. Auch „Jochen und Renate“ aus dem ansprechenden und modern aufgemachten Werbeprospekt waren „zuerst unsicher“ und hatten „Angst, wie blöd“ dazustehen. Ich lese weiter. Zweiter Merksatz: „Autos mit auswärtigen Kennzeichen fahren mehrmals langsam durchs Wohngebiet – vielleicht suchen Straftäter ein lohnendes Objekt.“ Mit wachsamen Augen gehe ich unsere Straße ab. Zur Tarnung habe ich mir von meiner Freundin Martina ihre Bulldogge E.T. ausgeliehen. Wir tun, als ob wir Gassi gehen, obwohl E.T. keine Lust hat, es nieselt leicht. Da! Ein Auto fährt langsam die Straße entlang, wendet und kommt zurück. Gelbschwarzes Kennzeichen. Aus Holland, analysiere ich mit Kennerblick. Es parkt unauffällig vor unserem Haus. Der Fahrer bleibt sitzen. („Unbekannte warten scheinbar grundlos auf der Straße, im Hausflur oder im geparkten Auto – vielleicht steht jemand bei einer Straftat Schmiere.“) Ich gehe hin und frage, was er denn hier zu suchen hat. „Verpiß dich“, sagt er.

Am Nachmittag, ich komme vom Einkaufen, spähe ich aufmerksam nach verhängten Fenstern, denn „vielleicht sind gerade Einbrecher am Werk“. Mein Blick fällt auf Sabines Vorhang. Zugezogen am helllichten Tag! War sie nicht heute morgen weggefahren? Ich klingel Sturm. Spärlich bekleidet erscheint Sabine an der Tür. Ich: „Äh, also ...“. Sie: „Du, das paßt mir gerade gar nicht, mein Freund aus Amsterdam ...“ Ich: „Ich wollte ja auch nur fragen, ob du vielleicht etwas Milch hast.“

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