: Manns und mehr
taz-Serie: Stadtführung (Teil 1). Das Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum in Lübeck bietet einen Rundgang durch die Stadt auf den Spuren der beiden Dichter ■ Von Franz Lerchenmüller
„Die Schule war aus. Über den gepflasterten Hof und heraus aus der Gatterpforte strömten die Scharen der Befreiten (...) Große Schüler hielten mit Würde ihre Bücherpäckchen hoch gegen die linke Schulter gedrückt, (...) kleines Volk setzte sich lustig in Trab, daß der Eisbrei umherspritzte und die Siebensachen der Wissenschaft in den Seehundränzeln klapperten.“
Die Schule ist aus. Über den rötlich gepflasterten Hof und heraus aus der schmiedeeisernen Pforte strömen mittags noch immer die Scharen der Befreiten, aber sie tragen keine Bücherpäckchen mehr, und auch die Seehundsränzel sind mittlerweile etwas aus der Mode gekommen und wurden durch Kunststofftaschen und -rucksäcke ersetzt.
Das Katharineum jedoch ist auch heute noch Gymnasium für Lübecks höhere Söhne und Töchter und solche, die es werden sollen oder wollen. Das Gebäude, in das Thomas Mann seinen „Tonio Kröger“ schickte, steht noch fast genauso da wie Ende des letzten Jahrhunderts, als er selbst und sein Bruder Heinrich hier den Unterricht besuchten. Ein zweistöckiger, langgestreckter Backsteinquader mit grünen und dunkelbraunen Zierklinkern, über dessen efeuberankten Portalen die Jahreszahlen 1880 und 1891 prangen, Erinnerung an die letzten Umbaumaßnahmen. Lediglich die falschen gotischen Ziergiebel hat man inzwischen durch moderne Gauben ersetzt.
Die Schule in der Königstraße ist eine der interessantesten Stationen eines Rundgangs auf den Spuren der Brüder Mann. Hier reicht das 19. Jahrhundert am direktesten in die Gegenwart herüber.
„Das Abitur schaffen beide nicht“, erzählt Begleiter Klaus F. von Sobbe, der sich lange mit dem Werk der Manns und der Stadtgeschichte Lübecks befaßt hat, „Thomas aber tat immerhin schon etwas für seinen Ruf“: Er war Mitherausgeber der ersten deutschen Schülerzeitung, des „Frühlingssturms“, der laut Editorial wie ein solcher „in die Fülle von Gehirnverstaubtheit und Ignoranz“ der ehrwürdigen Anstalt hineinfahren sollte. Die Nullnummer war denn auch gleich eine doppelte: die erste und die letzte.
Seinen Anfang nimmt der literarische Bummel am „Buddenbrookhaus“, einem Nachbau des Anwesens, das die Großeltern Mann von 1842 bis 1890 bewohnten. Das Original, in dem der größte Teil des berühmten Romans spielte, wurde 1942 zerstört. Erhalten blieb lediglich die spätbarocke Fassade, die, wie viele Lübecker Fronten, für sich stand und nur mit Ankern am eigentlichen Haus befestigt war, so daß sie ausgewechselt werden konnte, wann immer die Baumode es verlangte und der Geldbeutel es zuließ.
Heute ist das „Heinrich-und- Thomas-Mann-Zentrum“ mit einer Ausstellung über die beiden Brüder darin untergebracht. Von hier führt der Weg in die Breite Straße. Anstelle des Geburtshauses von Heinrich, Nummer 54, prunkt heute die Commerzbank; in Nummer 38, wo die Manns ab 1872 gewohnt hatten, residiert jetzt die Landesbank; und auch an anderer Stelle, auf dem Klingenberg, wo das durch „Tonio Kröger“ weltberühmt gewordene Hotel „Stadt Hamburg“ gestanden hatte, ist jetzt das Geld zu Hause: die Volksbank. Ein Zufall. Tja.
Aus der Engelsgrube pfeift ein eisiger Wind über den Jakobi- Kirchhof. Den knebelbärtigen, grünspanigen Emanuel Geibel auf dem Podest neben dem Heilig- Geist-Hospital rührt er freilich nicht. Geibel, Lübecker Bestseller- lyriker des 19. Jahrhunderts, hat Harmlosigkeiten wie „Der Mai ist gekommen“ verfaßt, steht aber auch für das Unglückswort vom „deutschen Wesen“, an dem die Welt später dann eben nicht genesen, sondern durch das sie erst richtig auf den Hund gekommen ist.
Für die Manns war Geibel ein Vorbild, für den bayerischen König Maximilian II, in dessen Diensten er jahrelang stand, das erste „Nordlicht“.
Ein paar Schritte weiter in der Königstraße macht sich zwischen einer Jazzkneipe und einer Kunsthandlung die klassizistische Fassade der Reformierten Kirche sehr breit. Vor dem mächtigen grauen Holzportal spielt jene berühmte „Buddenbrooks“-Szene aus dem Revolutionsjahr 1848, in der Konsul Buddenbrook sich mit dem Anführer der Aufrührer, Carl Smolt, einem seiner Angestellten, in die Haare kriegt:
„Smolt, wat wull Ji nu eentlich! Nu seggen Sei dat mal! – Je, Herr Kunsel, ich seg man bloß: wi wull nu 'ne Republike, seg ich man bloß... – Öwer du Döskopp... Ji heww ja schon een! – Je, Herr Kunsel, denn wull wi noch een!“
Klaus F. von Sobbe veranstaltet weder einen gefühligen Nostalgietrip noch eine Eskursion fürs Germanistenseminar. Er kennt sich in der Geschichte der Hanse ebensogut aus wie in den Feinheiten lübischer Baukunst, er hat eine Meinung zu Häßlichkeiten der Stadt und liebt ihre Grandezza. Und wenn die graugelockte Dame aus Essen kritisiert, daß Heinrich, der Ältere, der Sozialist, bisher aber doch etwas kurz gekommen sei, nun denn: ein Abstecher in die Mühlenstraße ist allemal drin. Dort, in Nr.44, „Im blauen Engel“, war einst die Sünde zu Hause. „Professor Unrat“ läßt grüßen, die laszive Dietrich auch. Heute fläzt sich an der Stelle in monströsem 60er-Jahre-Chic der Textilgigant „C&A“.
Seinen Abschluß findet der Rundgang in der Marienkirche, vor den Trümmern der Glocken, die in der Palmsonntagnacht 1942 am Boden zerschellten. Als Vergeltung für die Zerstörung der Kathedrale von Coventry hatte die englische Luftwaffe Lübeck bombardiert. Ein Fünftel der Altstadt stürzte ein oder verbrannte. Thomas Mann wandte sich anschließend über die BBC an deutsche Hörer:
„Beim jüngsten britischen Angriff über Hitlerdeutschland hat das alte Lübeck zu leiden gehabt. Das geht mich an, es ist meine Vaterstadt (...) Lieb ist es mir nicht, zu denken, daß die Marienkirche, das herrliche Renaissance-Rathaus oder das Haus der Schiffergesellschaft sollten Schaden gelitten haben. Aber ich denke an Coventry – und ich habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, daß alles bezahlt werden muß.“
Das wollten die Lübecker – nicht anders als andere Deutsche auch – sich nun doch nicht so gerne sagen lassen. Auch nicht, gerade nicht von einem, der zwischen ihnen aufgewachsen war – Nobelpreisträger hin oder her. Kein Wunder, daß Thomas Mann erst 1955 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde. Mit gerade mal einer Stimme Mehrheit im Senat.
Zitate aus: Hans Wißkirchen, „Spaziergänge durch das Lübeck von Heinrich und Thomas Mann“, Arche 1996
Anmeldungen beim Mann-Zentrum, Mengstr.4, 23552Lübeck, Tel.: 0451-1224192, Fax: 0451-1224140, Preis: 10 DM pro Person
oder beim Tourist-Service Lübeck, Amselweg 19, 23562Lübeck, Tel.:0451-596220, Fax: 0451-599089
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