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Vor Lemwerder – der Kirchturm

■ Polit-Prominenz um Schröder versammelt / Chef des Erfolgs- modells ASL Lemwerder warb um „Wirtschaftsregion“

Wenn Gerhard Schröder Hofstaat hält, dann kommen sie alle. So war es vergangene Woche in Lemwerder. Der alte Dasa-Betrieb, der mit Hilfe der niedersächsischen Landesregierung für 750 Arbeitskräfte vorerst gerettet wurde, ist geradezu ein Musterbeispiel für die Botschaft, mit der Schröder sich zum Kanzlerkandidaten empfehlen will: Eine Region kann „Schwächen relativer Abgelegenheit“nur kompensieren, wenn sie eine spezifische Innovationsstrategie hat: Voraussetzung ist die „Bereitschaft der Beschäftigten zu Flexibilität in allen Bereichen“, Voraussetzung ist auch, daß „vertrauensvolle Zusammenarbeit an die Stelle von Konfrontation“tritt. Schröders Credo ist schlicht geworden: Was sich fürs das private Kapital lohnt (Investitionen!), „lohnt sich auch für Beschäftigung“.

Einige hundert „VIPs“der Region hatte Schröder in die Flugzeughalle nach Lemwerder gelockt, auf dem Podium war ganz rechts auch Platz für den Bremer Bürgermeister Henning Scherf und den Chef der Lürssen-Werft, Friedrich Lürssen, direkter Nachbar der ASL.

Zur Einleitung, als der Platz von Henning Scherf noch frei war – der Bremer Bürgermeister kommt gern zu spät – hatte der Aufsichtsratsvorsitzende der ASL, der Schröder-begeisterte Unternehmer Jürgen Großmann, in einer kurzen Rede skizziert, wie aus dem Erfolgsmodell Lemwerder ein Erfolg für die gesamte Region werden könnte. Der Unternehmer Großmann ignorierte dabei einfach die Landesgrenze, auf die man von dem Flugzeugwerk buchstäblich spucken kann, bezog die Verkehrswege des Wassers (die Häfen Bremens), des Landes (Autobahn, Wesertunnel) und der Luft („bessere Nutzung des Flughafens Lemwerder“) umstandslos mit ein. Großmann denkt an die gesamte Region. „Ich weiß, es klingt altbacken“, frotzelte er, „wenn man zwischen geplanten Space- und Oceanparks noch das Hohelied der traditionellen Wertschöpfung predigt, aber irgendwo muß das Geld ja herkommen, das 40 Kilometer nördlich oder 20 südlich von den Leuten verjubelt wird. Lemwerder wird kein Entertainmentpark, hier bieten sich andere Zukunftschancen.“

Voller Neid hätten Vulkan-Arbeiter, wären sie in der ASL-Flugzeughalle gewesen, solche Sätze gehört: „Lemwerder ist für mich ein Zeichen dafür, daß es uns gelingen kann, vorhandene Ressourcen einer Region zu neuen wettbewerbsfähigen Strukturen zu bündeln.“Großmanns Vision: eine „gemeinsame Wirtschaftsregion Bremen-Wesermarsch“, länderübergreifende Zusammenarbeit Bremen-Niedersachsen.

Der Bremer Bürgermeister kam, als Großmann gerade seine höflichen Schlußworte sprach. Er klatschte aufgeräumt Beifall zu einer Rede, die er nicht gehört hatte und auf die er auch später nicht eingehen konnte. Scherf lobte beim Punkt „länderübergreifende Kooperation“den Verkehrsverbund und ein Wissenschaftszentrum in Delmenhorst. Mehr ist eben nicht zu sagen zur gemeinsamen Landesplanung. Auf einer „Fachtagung“in der vergangenen Woche wurde ein drittes ganz konkretes Pojekt der länderübergreifenden Planung ganz konkret beschlossen, das Scherf nicht erwähnte: Ein regionaler Radwanderweg soll entstehen!

Die Veranstaltungsregie hatte nicht zufällig den Bremer Bürgermeiste neben den Unternehmer Lürssen gesetzt: Lürssens Schiffbau-Hallen liegen zwar neben den Flugzeug-Hallen in Lemwerder, aber der Firmensitz ist auf der anderen Weser-Seite, also bremisch. Das verbindet Lürssen mit der bremischen Landesregierung, das brachte Lürssen jüngst ein lukratives Eine-Mark-Geschäft und einen fetten Fregatten-Auftrag. Mit der Krise der Dasa-Lemwerder und der Rettung des Betriebes als ASL durch den tatkräftigen Unternehmer Großmann hatte die Bremer Seite derweil nichts zu tun.

Das ist der Zustand der Politik, hier an der Landesgrenze. Dem Unternehmer Großmann ist das unendlich fremd: „Das Allerletzte, was wir uns im Hinblick auf eine globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Luftfahrtindustrie leisten können, ist ein Kirchturmsdenken auf Länder- oder Konzernebene.“Aber auch das hatte Scherf nicht gehört, weil er zu spät gekommen war. K.W.

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