: Die Ängste des Schloßherren
Schlüssel sind auch nicht mehr das, was sie mal waren: Auf der Sicherheitsmesse SiTech 97 wird die Angst vor dem Einbrecher vermarktet. „Stinktiere“ und Netze aus der Pistole für die einen, verrammelte Türen für die anderen ■ Von Jens Rübsam
Bis vor kurzem hat Rudi Jache noch geglaubt, die Sache mit dem neuen Begriff habe Zeit. Daß „Schlüsseldienst“ antiquiert, verkrustet und abgewetzt klingt, das war ihm schon lange klar. Auch, daß das Wort eigentlich in sein Museum gehört und nicht in seine Annonce im Branchenbuch. „Denn was die Sicherheitsfirmen heute anbieten, hat mit dem weitverbreiteten Begriff ,Schlüsseldienst‘ nicht mehr viel zu tun.“
Die Sache mit der Wortschöpfung ist also eilig. Das ist Rudi Jache, dem Neuköllner Firmenchef, dieser Tage noch einmal klargeworden. Er war auf der Internationalen Fachmesse für Sicherheit und Sicherheitstechnik (SiTech). Und was er da zu sehen bekam, hatte mit dem einstigen Inbegriff der Sicherheit, einem Schlüssel, nicht mehr viel zu tun. Zum Beispiel: ein computergestütztes Sicherheitsschloß mit 500 Milliarden Code-Varianten. Oder: Der Daumen wird zum Türöffner; beim „elektronischen Portier“ ist es die Stimme. Oder aber: Das Auge wird zum Schlüssel. „Ein Blick in die Videokamera genügt, Körperkontakt ist nicht mehr nötig“, versichern die Aussteller. Die Identifikationszeit liege unter zwei Sekunden.
Rudi Jache sitzt an einem nüchternen Konferenztisch in Halle 4.2. und kramt ein blasses Foto aus der Jackentasche. Darauf zu sehen ist ein Kellerraum, an den Wänden hängen Schlösser, auf den Tischen liegen Schlösser, 200 sind es insgesamt in seinem privaten Kellermuseum, und Rudi Jache sagt stolz: „Ich habe alle Arten von Schlössern gesammelt, die jemals in Berliner Wohnungstüren waren.“ Schlosser ist er von der Pike auf, schon sein Vater war Schlosser, und auch sein Sohn wird Schlosser. Er kennt die Branche, das Sicherheitsbedürfnis der Berliner, das Spiel mancher Firmen mit der Angst der Leute, und er kann so manche Geschichte erzählen. Daß die Hemmschwelle vor einem Schloß radikal abgenommen habe. Daß heute nicht mehr kunstvoll eingebrochen werde, also ein Schloß geknackt wird, sondern die Täter mit brutaler Gewalt gleich die ganze Tür einschlagen. Daß er seinen Kunden immer denselben Rat gibt: „Sie müssen selber zum Dieb werden, indem sie dem Einbrecher die Zeit stehlen.“ Will heißen: Die Widerstandszeit einer Tür muß so groß wie möglich sein. Denn das einzige, was ein Einbrecher nicht hat, ist Zeit. Sagt Rudi Jache.
Ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt: Wird in Deutschland eingebrochen, sind überwiegend Privathaushalte Opfer. Kriminalhauptkommissar Hans-Dietrich Rupprecht weiß: „Die Täter kommen meist zwischen 10 und 13 Uhr. Der Mann ist Geldverdienen, die Frau ist unterwegs, um das Geld auszugeben, und die Kinder sind in der Schule.“ Rupprecht ist Mitarbeiter der Kriminalpolizeilichen Beratungsstelle. Beraten wird hier, wer sich nicht sicher fühlt. Ist das Sicherheitsbedürfnis der Berliner gestiegen, Herr Rupprecht? „Wenn heute ein Einfamilienhausbesitzer zu uns kommt, können wir ihm erst einen Termin in vier Wochen geben“, sagt der Kommissar recht diplomatisch.
Nach Angaben des Bundesverbandes der Hersteller- und Errichterfirmen von Sicherungssystemen wurde 1996 mit elektronischer Sicherungstechnik ein um 0,6 Prozent gestiegener Umsatz erzielt. 3,32 Milliarden Mark seien für Einbruch und Brandmeldetechnik sowie Computerüberwachung und Zutrittskontrollen ausgegeben worden. Messegeschäftsführer Jochen Martin rechnet für die kommenden Jahre mit Umsatzsteigerungen in der Branche, „das Sicherheitsbedürfnis von Bürgern und Unternehmen steigt“. Eine Umfrage der Messe Berlin hat ergeben: 83 Prozent der Bundesbürger halten einen zusätzlichen Schutz ihrer Wohnung für erforderlich. Jüngere Menschen seien zum Beispiel eher bereit, eine Codecard als Ersatz für Haus- und Wohnungsschlüssel zu akzeptieren.
Codecard? Rudi Jache faltet die Hände, lehnt sich zurück – in Halle 4.2. heult eine Alarmanlage auf, man weiß nicht so recht, ob er sich hier, zwischen all den blinkenden und piepsenden Messeneuheiten, wohl fühlt –, und er will von einem Vorfall und einer Beobachtung erzählen. Der Vorfall ist ihm erst vorige Woche passiert. Im Hotel sei er gewesen mit seiner Frau. Die Hoteltür war nur mit einer Codecard zu öffnen und zu schließen. Als seine Frau nun die Codecard falsch eingesteckt und die Tür geklemmt habe, habe sie in der Hektik mit dem Knie dagegen gestoßen – und siehe da, die Tür sei aufgegangen. „Da mußte ich aber lachen.“ Mit einem Schloß, hat sich Rudi Jache gedacht, wäre das wohl nicht passiert. Und die Beboachtung? Der Neuköllner muß schmunzeln. Er achte ja immer darauf, sagt Rudi Jache, wie Menschen mit Schlüsseln umgehen, schließlich sei ein Schlüssel ein Symbol. Ihm ist aufgefallen: „Menschen, die ihre Tür mit einem Schlüssel abschließen, gehen anschließend gleich weg. Menschen, die eine Karte benutzen, drücken noch einmal auf die Klinke.“ Naßforsch fügt Rudi Jache hinzu: „Ich bin mir sicher, Schlüssel wird es immer geben.“ Er zieht seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche, 15 Schlüssel baumeln daran, von dreien weiß er gar nicht, in welches Schloß sie passen. Dann vergräbt er seinen Bund in der Faust.
325 Aussteller aus 21 Ländern präsentierten sich zur dritten SiTech. 9.000 Besucher kamen, weniger als erwartet. Neuheiten hatte die Messe einige zu bieten: Das „Stinktier“ zum Beispiel, eine automatische Reizstoffsprühanlage. Im Falle eines Einbruchs wird das „Stinktier“ scharf geschaltet. Der Eindringling wird durch einen Mikroprozessor akustisch gewarnt, den Raum sofort zu verlassen. Ignoriert er die Warnung, wird ein Reizgas freigesetzt. Nicht ein wenig zu brutal, diese „Sicherheitsmaßnahme“? Die Firma versichert: Durch Hinweisschilder werde auf das gesicherte Objekt verwiesen, durch die akustischen Signale würden die Einbrecher gewarnt. Stolz weisen die „Stinktier“-Erfinder noch darauf hin: „Reizgas in der Kleidung strömt auch im Auto weiter aus, so daß eine Flucht kaum möglich wird.“ Eine andere Neuheit: Ein Fangnetz aus der Pistole. Ein Druck auf den Auslöser, Sekunden später ist der Dieb in einem 25 Quadratmeter großen Netz gefangen. Spaß, Ernst, Angstmache?
Apropos Geschäft mit der Angst. Rudi Jache hat auch dazu eine Weisheit parat. Wer einem besorgten Bürger empfehle, noch ein drittes Sicherheitsschloß hinter der Tür anzubringen, sei ein Schlitzohr. Richtig wäre, den Leuten zu sagen: Kauft eine massive Tür und ein gutes Schloß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen