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Father Trendy und die widerspenstige Mary    ■ Von Ralf Sotscheck

Bei einer katholischen Messe kann es mitunter ganz amüsant sein, selbst wenn eine Trauerfeier abgehalten wird. Vor kurzem ist ein Nachbar gestorben und in Irland ist es Sitte, dass nicht nur die Verwandtschaft, sondern auch Arbeitskollegen und die Nachbarschaft beim Begräbnis aufkreuzt. Die Anzahl der Trauergäste lässt Rückschlüsse auf die Beliebtheit des Verstorbenen zu. Nichts ist peinlicher als leere Kirchbänke, obwohl es der Hauptperson vermutlich ziemlich egal ist.

Father Joe, der die Messe las, ist ein junger Pfarrer aus Nordirland. Er ist gerade 37 geworden und bildet sich ein, modern zu sein. Wenn er dem lokalen Jugendclub einen Besuch abstattet, erwartet er, dass die Kids jubeln, denn „Father Trendy“ ist einer von ihnen, wie er glaubt. Auch was die Technik betrifft, geht der coole Pfaffe mit der Zeit. Wo die Kollegen sich die Stimmbänder wund reden, um die Sünder in der letzten Reihe – und dort sitzen garantiert nur Sünder – zu erreichen, hat Father Joe sich ein kleines schnurloses Ansteckmikrofon besorgt, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Damit ist er zwischen Altar und Kanzel mobil, während seine Stimme über Lautsprecher in den letzten Winkel des Gotteshauses dringt.

So auch bei der Beerdigungsfeier. Der Verstorbene war sehr beliebt gewesen, deshalb war die Kirche in der Dubliner Iona Road gerammelt voll. Nur in der ersten Reihe gab es noch ein paar Plätze. Mary und ihre beiden Töchter blieben jedoch lieber hinten stehen. Das aber passte Father Joe nicht. Mitten in der Predigt winkte er Mary zu und deutete auf die leeren Stühle. Mary schüttelte den Kopf und blieb, wo sie war.

Der Pfaffe ließ nicht locker. Nach einer Weile zeigte er abermals auf Mary und orderte sie mit einem Wink des Zeigefingers nach vorne, wie Schullehrer es mit einem ungezogenen Kind tun. Mary blieb standhaft und schüttelte erneut den Kopf. Auch ein moderner Pfarrer erwartet von seinen Schäfchen Gehorsam. Wutentbrannt kletterte Father Joe aus der Bütt und marschierte quer durch die Kirche auf Mary zu. Ihre Töchter machten sich vorsichtshalber Richtung Ausgang aus dem Staub.

Der Priester packte Mary an den Schultern und schob sie vor sich her, was er im Nu bereute. Mary drehte sich um und schnauzte ihn an: „Finger weg von mir. Wenn ich nein sage, dann meine ich nein.“ Da Mary dem Pfaffen nur bis zur Schulter reichte, war ihr Mund genau auf Höhe des Ansteckmikrofons. Der Gemeinde stockte der Atem. Einem Priester die Bedeutung des Wörtchens „nein“ zu erklären, haben in den vergangenen Jahrhunderten nicht mal die Messdiener geschafft. Father Joe zog hochroten Kopfes wieder zu seinem Altar zurück.

Beim Pfaffenhandschütteln nach der Messe sagte Father Joe zu Mary, dass es ihm leid täte, wenn er sie in Verlegenheit gebracht habe. „Ich heiße Mary“, giftete sie erneut ins Mikrofon, das der Pfarrer aber vorsichtshalber ausgeschaltet hatte, „und mich bringt niemand in Verlegenheit.“

Eine Woche später heiratete Marys Bruder und sie war zum häuslichen Umtrunk eingeladen. Genau wie Father Joe, der bei Marys Anblick einen Anfall von Verfolgungswahn erlitt. Er soll inzwischen um seine Versetzung ersucht haben: Als Gefängnispfarrer ist er vor Mary ziemlich sicher.

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