: Ein Brief aus der Ukraine Zufällig nicht ermordet
■ Überlebender der Nazi-Experimente im KZ Neuengamme kam nach Hamburg
Mühsam ist es für die Historiker der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu rekonstruieren, was während des Nationalsozialismus in dem Hamburger Konzentrationslager geschah. Dort haben Nazi-Ärzte medizinische Versuche an Menschen durchgeführt, doch „Krankenakten“ sind nach dem Krieg nur vereinzelt aufgetaucht und ZeitzeugInnen gibt es kaum – die Opfer wurden nach Abschluss der Experimente ermordet.
Anfang vorigen Jahres dann bekam Archivar Herbert Diercks plötzlich den Brief eines Mannes aus der Ukraine. Der berichtete, wie der KZ-Arzt Kurt Heißmeyer von 1944 bis Kriegsende Versuche mit Tuberkulose-Erregern an ihm durchführte. Die Gedenkstätte lud den Mann ein. Nun ist der jetzt 83-jährige Aleksandr Choroschun erstmals wieder in Hamburg.
Dass er Neuengamme überlebte, hat Choroschun Zufällen zu verdanken. Heißmeyer hatte ihm TBC-Erreger gespritzt und einoperiert. Während die übrigen Versuchsopfer schwer daran erkrankten, kämpfte Choroschuns Körper erfolgreich dagegen an. Und auch als das KZ kurz vor Eintreffen der Alliierten 1945 geräumt und die ZeugInnen der Experimente ermordet wurden, überlebte der russische Gefangene: „Sie haben wohl einfach vergessen, mich umzubringen.“
Choroschun hatte in Neuengamme auch die 20 Kinder kennengelernt, die Heißmeyer für seine Zwecke missbrauchte und die kurz vor dem Eintreffen der Alliierten von der SS im Keller der Schule am Bullenhuser Damm ermordet wurden.
Zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme hatte Choroschun vor einem Jahr Kontakt aufgenommen, weil er für eine finanzielle Entschädigung eine Bestätigung seiner Haftzeit braucht. Die vergangenen 50 Jahre, so Archivar Diercks, hatte niemand Choroschun sein Schicksal geglaubt. Dabei befindet sich seine Original-Krankenakte mittlerweile in den Akten der Gauck-Behörde. Doch als man in den 60er Jahren nach dem Mann suchte, dessen qualvoller Aufenthalt in der Krankenstube Neuengamme so akribisch dokumentiert worden war, glaubte niemand an dessen Überleben. Elke Spanner
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