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Lastesel trifft Motorroller

Pittoresk und traditionsverhaftet, die Diktatur bleibt unsichtbar: Das Kulturhaus Potsdam zeigt eindringliche Fotos von Inge Morath aus dem Spanien der Fünfzigerjahre

Die zufällige Begegnung von Motorroller und Lastesel auf Kopfsteinpflaster findet in Almería statt. Eine Szene, die zumindest für heutige Betrachter eine leicht surreale Note aufweist. Sie passt zu den anderen: Eine Frau mit großem Korb auf dem Kopf schreitet an drei Mädchen in Schuluniform vorbei; ein Mann im Rollstuhl wird von seinem Hund gezogen; eine schwarz gekleidete Frau sucht am Straßenrand Schutz vor der glühenden Hitze, indem sie Gesicht und Hände unter Zeitungsseiten versteckt. All diese Szenen stammen aus Cárceres, Valladolid, Pamplona oder Madrid. Inge Morath hat sie Mitte der Fünfzigerjahre in Schwarzweiß aufgenommen, jetzt werden sie im Kulturhaus Potsdam ausgestellt. Leihgeber ist das 1996 eingeweihte Internationale Fotomuseum Inge Morath der Batuz Foundation in Altzella bei Dresden.

Die 1923 in Graz geborene Fotografin kam auf Umwegen zum Metier, das sie weltberühmt gemacht hat. Morath wächst in verschiedenen europäischen Städten auf, studiert Sprachen, arbeitet als Übersetzerin und Autorin. In Paris ist sie für die von Robert Capa geleitete Fotoagentur Magnum als Texterin tätig. Erst nach ihrer Heirat beginnt sie ernsthaft zu fotografieren, hospitiert in London bei Dephot-Gründer Simon Guttmann. 1953 fährt sie mit Henri Cartier-Bresson erstmals nach Spanien, danach mehrfach im Auftrag von Magnum, der Kulturzeitschrift L’Oeil und dem Buchverleger Robert Delpire. Seit 1956 ist sie Vollmitglied von Magnum, mit Reportagen und Porträts, Büchern und Ausstellungen weltweit. Seit 1962 ist Inge Morath mit dem Schriftsteller Arthur Miller verheiratet.

Der erste Auftrag für Spanien galt 1954 der Rechtsanwältin Mercedes Formica, die in diesen von der Franco-Diktatur beherrschten Jahren energisch für die Rechte der Frau eintrat. Wie eine elegante Dame von Welt steht sie in Moraths Foto auf dem schmalen Balkon ihrer Wohnung. Der Balkon erinnert an eine Loge, vor der sich das Zentrum Madrids mit seinen Boulevards und Palästen wie eine Kulisse ausbreitet. Ganz anders das zweite Porträt der Ausstellung: es zeigt Picassos Schwester Lola Riuz Vilato in Barcelona. In dunkler Raumecke ragt aus Decken und großem gemusterten Stoff allein das mächtige, volle Gesicht heraus. Aufrecht sitzt sie da und ernst, Denkmal ihrer selbst.

Mit Bildern spanischer Meister und Don Quijote im Kopf war Morath nach Spanien gereist, auch die Sprache verstand sie ein wenig. Das Land war ihr nicht fremd, es zog sie an. Pittoresk wirkt es, traditionsverhaftet, bäurisch und arm. Die Diktatur bleibt unsichtbar: keine Guardia Civil. Fast keine Autos, Schaufenster, Werbung. Stattdessen Steine und von der Hitze gebleichte Mauern in einem fast baumlosen, kargen Land, dessen Bewohner ein Leben zwischen Pferdemarkt und Prozession und Stelldichein auf dem Dorfplatz führen. Für einen Moment im Lichtbild festgehalten – eindringlich und uralt.

MICHAEL NUNGESSER

bis 11. 2., Di-So 10-18 Uhr, Kulturhaus Potsdam, Am Alten Markt

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