: Das EEG erweckt auch die Erde
An mehreren Orten Baden-Württembergs sind Projekte zur geothermischen Stromerzeugung geplant. Den Risiken stehen beachtliche Chancen gegenüber. Mit dem Wärmepotenzial ließen sich Bananenplantagen von Bühl bis Offenburg versorgen
Die Universität Karlsruhe könnte ein ganz besonderes Rennen gewinnen. Sie steht als erste Hochschule in Deutschland vor der Option, ihren Energiebedarf künftig komplett aus erneuerbaren Energien zu decken.
Ob die Uni diese Chance wahrnehmen wird, ist zwar noch unklar, das Ziel jedenfalls realistisch: Johannes Gottlieb, Wissenschaftler im Forschungszentrum Umwelt der Universität, hat Pläne für ein Kraftwerk entworfen, das den Bedarf der Uni an Strom, Wärme und Kälte gänzlich mit Erdwärme zu decken vermag. Dieses geothermische Forschungs- und Lehrkraftwerk am Rande der Stadt soll sechs bis zehn Megawatt elektrische Leistung bringen; als Grundlast praktisch rund um die Uhr. Gleichzeitig soll es 20 Megawatt Wärme bereitstellen. Um das zu schaffen, möchte Gottlieb die Erdwärme des Oberrheingrabens aus 4.500 bis 5.500 Tiefe an die Oberfläche bringen – Wasserdampf zwischen 175 und 200 Grad soll dann Turbinen antreiben. Eine Firma, die das Projekt realisieren soll, hat er bereits aus der Universität ausgegliedert.
Das Karlsruher Erdwärmeprojekt ist eines von mehreren, die derzeit in Baden-Württemberg vorangetrieben werden – ausgelöst durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Denn auch die Geothermie hat durch das EEG erstmals die notwendige Planungssicherheit erhalten: Für Strom aus Erdwärme gibt es bei einer elektrischen Leistung bis 20 Megawatt 17,5 Pfennig je Kilowattstunde. Und Wissenschaftler Gottlieb weiß: „Im Oberrheingraben gibt es die besten Möglichkeiten für die Erdwärme nördlich der Alpen.“
Entsprechend planen zwischen Karlsruhe und Basel auch schon andere die Nutzung der Tiefenwärme. Sehr weit fortgeschritten sind die Stadtwerke Bühl. „Wir haben schon private Interessenten, die investieren wollen“, sagt Stadtwerke-Chef Kurt Finkbeiner. Zwischen 70 und 100 Millionen Mark werde man vermutlich für ein Kraftwerk mit zehn Megawatt elektrischer Leistung investieren müssen, rechnet er vor. Da dieses Grundlast erzeugt, also mit gut 8.000 Stunden im Jahr seine Nennleistung bringt, komme man auf Stromerlöse zwischen 13 und 14 Millionen Mark jährlich – und damit ist es rentabel. Denn die laufenden Kosten eines Erdwärmekraftwerkes seien gering.
Das Bühler Erdwärmeprojekt schien vor zwei Jahren, als mit der Marktliberalisierung die Strompreise einbrachen, gestorben zu sein. Erst das Erneuerbare-Energien-Gesetz erweckte es wieder zum Leben. Jetzt soll es zügig vorangehen: „Wir rechnen mit der Genehmigung innerhalb eines Jahres“, sagt Finkbeiner. Der genaue Standort stehe indes noch nicht fest. Zwar seien die Stadtwerke Bühl sehr daran interessiert, die Anlage auf der eigenen Gemarkung zu errichten, doch müsse dies mit den Partnern, die man mit ins Boot nehmen werde, noch abschließend diskutiert werden. Denn schließlich seien Erdwärmekraftwerke von der Geologie her auch an anderen Orten des Oberrheins denkbar und sinnvoll. Zum Beispiel wurde in Bruchsal, nordöstlich von Karlsruhe, schon in den 80er-Jahren gebohrt – daher wird auch dieser Geothermie-Standort plötzlich wieder intensiv diskutiert. „Es gibt eine Reihe von Leuten, die im Oberrheingraben in den Startlöchern stehen“, weiß Werner Bußmann von der Geothermischen Vereinigung.
Und natürlich ist auch in Bad Urach auf der Schwäbischen Alb das Thema wieder aktuell. Anders als im Oberrheingraben, wo die Geothermie großflächig nutzbar ist, besteht in Bad Urach eine geothermische Anomalie: Die Erdwärmenutzung bietet sich hier auf Grund überdurchschnittlicher Erdtemperaturen punktuell an. Eine 4.400 Meter tiefe Bohrung besteht dort, 40 Kilometer südöstlich von Stuttgart, bereits seit vielen Jahren; sie wird vermutlich für ein Kraftwerk nutzbar sein.
20 Jahre geothermische Forschung hat Bad Urach bereits hinter sich. Doch dann ging das Geld aus. Als sich in dem Bohrloch das Bohrgestänge verkeilte, wurde das Projekt abgebrochen – das Gestänge steckt seither noch immer in den Tiefen des Gesteins. Erst jetzt, nachdem die Bundesregierung aus der UMTS-Versteigerung zehn Millionen Mark jährlich für geothermische Forschung locker gemacht hat, bekommt das Bad Uracher Projekt wieder eine Chance. Denn anders als im Oberrheingraben, wo die Erkundungen auf Grund des europäischen Forschungsprojektes im elsässischen Soultz-sous-Forêt, schon weit fortgeschritten sind, besteht auf der Schwäbischen Alb noch Forschungsbedarf. Anders als im Oberrheingraben rechnet sich daher ein Erdwärmekraftwerk in Bad Urach alleine durch das EEG noch nicht.
Mit 17 Millionen Mark Investitionskosten rechnet Helmut Tenzer, Geologe bei den Stadtwerken Bad Urach. Eine Anlage mit zunächst 1,5 bis drei Megawatt elektrischer Leistung hält er für realistisch, in einigen Jahren könnte diese auf fünf Megawatt aufgestockt werden. Zwei Bohrungen sollen dann in etwa 5.000 Meter Tiefe ein Temperaturniveau von 200 Grad erreichen – das reicht längst zur Stromerzeugung.
Aber solche Temperaturen sind gar nicht mehr zwingend nötig. Mit neuen Technologien lässt sich heute sogar bei deutlich geringeren Temperaturen schon Strom erzeugen. In Altheim in Oberösterreich erzeugt ein neues Erdwärmekraftwerk aus 105 Grad heißem Wasser 700 Kilowatt Strom. „Organic-Rankine-Cycle“ heißt das Prinzip, kurz ORC. Dabei wird für die Dampfturbine ein organisches Arbeitsmittel eingesetzt, das bei 80 Grad verdampft – seine Zusammensetzung ist Betriebsgeheimnis, doch es ist in jedem Fall FCKW-frei.
Damit könnte dann die Geothermie tatsächlich standortunabhängig genutzt werden. Der erste Schritt war die Entwicklung der Hot-Dry-Rock-Technik (HDR), die ohne heißes Tiefenwasser auskommt, weil sie die Wärme des trockenen Gesteins nutzt. Und der zweite Schritt ist die Absenkung der notwendigen Arbeitstemperatur. Denn je weiter diese gedrückt werden kann, desto preisgünstiger werden die Kraftwerke: Hohe Temperaturen bedeuten tiefe Bohrlöcher – und die sind es, die ins Geld gehen.
Die Kraftwerke, die im Oberrheingraben wie auch in Bad Urach in den kommenden Jahren entstehen werden, sollen HDR-Kraftwerke sein. Die sind auch ökologisch von Vorteil: „Man stößt beim HDR-Verfahren in Tiefen vor, in denen kein natürlicher Wasserkreislauf mehr stattfindet“, sagt Burkhard Sanner, Geologe an der Uni Gießen. Also kann der Wasserkreislauf auch nicht beeinträchtigt werden.
Trotz aller technischer Fortschritte: Jedes Erdwärmeprojekt kann durch unerwartete Probleme bei der Exploration erheblich teurer werden als geplant. Um die Investoren gegen diese Kostenzunahme abzusichern, schlägt der Bühler Stadtwerke-Chef Finkbeiner künftig einen Fonds vor, „für Projekte, die schief gehen“. Für die ersten Anlagen aber wird es diesen noch nicht geben. Die Erdwärmekraftwerke sind also einstweilen noch auf Risikokapital angewiesen.
Doch weil den Risiken beachtliche Chancen – auch wirtschaftlicher Natur – gegenüberstehen, wird die Geothermie die notwendigen Investoren finden. Während die Standortsuche speziell im Oberrheingraben derzeit läuft, wird hinter den Kulissen schon mächtig verhandelt und auch taktiert. Denn mehrere Städte wollen das Pilotprojekt an Land ziehen.
Dabei wird neben der Geologie auch die Möglichkeit des Stromanschlusses zählen. Und wenn es ein idealer Standort ist, lässt sich auch noch ein Teil der verbleibenden Niedertemperaturwärme nutzen. Dass die Wärme nie komplett einen Abnehmer finden wird, ist indes offensichtlich – zu groß sind die Mengen, als dass es in vertretbarer Entfernung Nutzer geben könnte. Stadtwerke-Chef Finkbeiner: „Wir könnten mit der Wärme einer Anlage Bananenplantagen von Bühl bis Offenburg versorgen – und das sind immerhin 30 Kilometer.“ BERNWARD JANZING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen