: Hort der Langeweile
HOCHSCHULEN IN DER KRISE (8): Wer hierzulande sein Studium fertig hat, vergisst es auf der Stelle. Eine Campus-Kultur wie in England oder den USA hat sich nie entwickelt
Hochschulpolitik ist übrigens langweilig. Das ganze Thema Bildung ist so gesehen ein Problem. Zur Frage, ob Lehrer nun faul sind oder nicht, dazu haben alle wenigstens eine Meinung. Wie dagegen das Studium, die Hochschulen oder das Verhältnis von Universität und Gesellschaft aussehen sollten: Mit solchen Fragen kann man Leute höchstens zum Gähnen bringen.
Hochschulen sind so ein langweiliges Thema, weil sich niemand mit ihnen identifiziert – weder mit der Universität als Institution noch mit dem, nun ja, akademischen Leben. Wer sein Studium fertig hat, vergisst die Uni auf der Stelle. Erinnerungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Campus-Liebschaften oder auf die eigene grauenhafte Persönlichkeitsveränderung während des Examens. Die Studierenden selbst haben ein innigeres Verhältnis zu ihrem Supermarkt als zu ihrer Uni; über „Plus oder Penny“ lässt es sich ausführlicher zanken als über „Hamburg oder Kiel“. Kein Mensch hängt sein Herz an seine Uni, und auch nicht an die Universität als solche.
Eigentlich gehen Uni und Herz bei uns ganz und gar überhaupt nicht zusammen. Das ist merkwürdig, denn schließlich ist eine Universität doch die größte realexistierende Ansammlung von Menschen, die sich selbst verwirklichen. Das gilt für Studenten wie Lehrpersonal. Da soll keiner kommen und behaupten, die Fremdbestimmung durch Bildung und Lehre sei auch nur annähernd vergleichbar mit den Stechuhren, Kundenwünschen, Auflagenzahlen und all den anderen kapitalistischen Zwängen jenseits des Campus.
Die Universität in der Bundesrepublik inspiriert einfach niemanden. Das ist im Ausland anders. Die besondere Abgeschlossenheit der universitären Welt mit all ihren Drolligkeiten hat etwa im angloamerikanischen Raum ein eigenes literarisches Genre hervorgebracht, die campus novel; am prominentesten vertreten vielleicht durch David Lodge. Campus novels spielen an der Universität, ironisieren das ganze akademische Gehabe und Getriebe und sind so geschrieben, dass sie sicherlich nicht nur von Studienabsolventen gelesen werden.
Als College-Milieustudien können unzählige weitere Romane durchgehen, sei es von Vladimir Nabokov oder von John Irving. Was es bedeutet, ein wissenschaftliches Thema mit allen Kräften zu verfolgen, hat zuletzt Antonia S. Byatt aufgeschrieben. Und in Deutschland? Hier muss man ausgerechnet einem Dietrich Schwanitz dankbar dafür sein, dass er mit „Der Campus“ überhaupt einen Universitäts-Roman vorgelegt hat, der sowohl beachtet als auch verfilmt wurde und sogar ein paar Nachahmer gefunden hat. Puh.
Das College hingegen ist natürlich auch Schauplatz soundso vieler englischer und amerikanischer Filme. Der Zeichen- und Bildervorrat, den das Publikum daraus schöpft, reicht von den grün eingebetteten neogotischen Fassaden der berühmten US-Universitäten der „Ivy League“ über die Spielfeld-Szenerie des College-Baseballs bis hin zum Plastiktassen-Chaos in der Cafeteria. Das College-Leben ist aus solchen Filmen vertraut, irgendwie; es teilt sich mit durch die political-correctness-gesteuerten Begegnungen von Dozent und Studentin; es hat seine typischen Handbewegungen in der geschwenkten Collegemappe, aus der die Papiere flutschen, die aufgesammelt werden; es hat seine gewohnten Anblicke, etwa den verstrubbelten Haarschopf des niedlichen 20-Jährigen, der so spät noch in der Universitätsbibliothek hockt.
Doch die emotionale Bindungskraft des angloamerikanischen Hochschulwesens ist nicht nur literarisch-filmischer Natur. Wenn in England eine Schulabsolventin in Cambridge oder Oxford nicht zugelassen wird, weil sie von der vermeintlich falschen Schule kommt (so ein Fall im vergangenen Jahr), gibt es den berühmten Aufschrei in den Medien. Denn erstens wissen alle, was und wo Cambridge und Oxford sind; zweitens haben alle eine Meinung dazu, ob diese beiden Universitäten ihre finanzielle Förderung und ihren Ruf verdienen; und drittens ist die Existenz von Eliteuniversitäten eben immer ein Politikum.
Anders gesagt: Die ganze Nation besteht aus Experten in Sachen Klassenkampf und Elitenbildung, deshalb interessieren sich alle für Oxford und Cambridge. Vergleichbar ist die Situation in den USA bei der Frage, ob und inwieweit Angehörige von Minderheiten in Harvard oder Yale zugelassen und gefördert werden. Das Stichwort heißt affirmative action.
Und? Wer interessiert sich eigentlich für das deutsche System der Studienplatzvergabe? Keiner. Es gibt Abkürzungen, die niemanden aufregen, zum Beispiel „ZVS“ – das ist das Amt, das in einigen Fächern die Studienbewerber auf die Unis im ganzen Bundesgebiet verteilt; oder „NC“ – ausgeschrieben Numerus clausus, die Zahl der Bewerber in einem bestimmten Fach, die von der Uni zugelassen werden. Der Grund für das Desinteresse liegt auf der Hand: Die Sozialdemokratie ist schuld. Denn alle deutschen Universitäten sind gleich.
Oder glaubt etwa jemand an diese Spiegel- und Focus-Rankings? Eben. Im Zweijahresrhythmus versuchen sich die genannten Magazine in der Bewältigung des Langeweile-Problems, indem sie das „Megathema“ Bildung (wir erinnern uns: der Begriff stammt von Exbundespräsident Roman Herzog) durch Hitlisten und ähnliche Maßnahmen trivialisieren. Doch die deutschen Hochschulen eignen sich nicht für den Drang zum Superlativ, für die Freude am Guinnessbuch-der-Rekorde-Auswendigkennen. Die beste Uni gibt es nicht, noch nicht einmal die beste Fakultät, und auch nicht den besten Prof.
Die Unterschiede, die zwischen einem Jura- oder Germanistikstudium in München, Tübingen, Bielefeld oder Hamburg bestehen, sind von tausend Dingen abhängig und deshalb, insgesamt gesehen, zufällig. Darum ist es das Schicksal der Uni, dass sie keine Gefühle mobilisiert, und das hat zur Folge, dass sich niemand um ihr Wohl und Weh kümmert. Da können die Hochschulpolitiker noch so vehement den „Weg“ (SPD) bzw. den „Aufbruch“ (CDU) in die „lernende Gesellschaft“ (beide) beschwören und die Bildung auf den Namen „Megathema“ taufen (alle zusammen) – deshalb wird noch lange kein Eckwertepapier oder Zehn-Punkte-Programm bis zu Ende gelesen.
Insofern ist es als ein mittleres Wunder zu bezeichnen, dass Bildungsministerin Edelgard Bulmahn einen erklecklichen Teil der für ihr Ressort herausgeschlagenen 1,8 UMTS-Milliarden in die Hochschulen stecken wird und dass sie das Bafög immerhin so weit saniert hat, dass ab dem kommenden Semester 81.000 Menschen mehr Anspruch auf staatliche Studienförderung haben als vorher. Hätte sich Frau Bulmahn stattdessen aber ab Amtsantritt nicht gerührt – es wäre den Betroffenen zuletzt aufgefallen. Tragisch ist das schon: Erst wenn die Privatuniversitäten eine echte Konkurrenz der staatlichen Unis sind, wird sich wirklich jemand für das Schicksal Letzterer erwärmen. ULRIKE WINKELMANN
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