: Edelgards Nebelkerzen
Das Forschungsministerium eröffnet das „Jahr der Lebenswissenschaften“. Der Auftakt zeigt vor allem: Interdisziplinarität ist ein hartes Brot
Mit einer Podiumsdiskussion startete Donnerstagabend das vom Forschungsministerium ausgerufene „Jahr der Lebenswissenschaften“. Eine viel versprechende Wendung – auch wenn sich dahinter nur eine Veranstaltungsreihe verbirgt, die den Dialog zwischen „Forschern und der Öffentlichkeit“ vorantreiben soll. Der Auftakt bot eine aufschlussreiche Diskussion, nur anders, als sich das Forschungsministerin Edelgard Bulmahn gewünscht haben wird. Der Abend zum Thema „Der entschlüsselte Mensch“ dokumentierte, wie sehr die verschiedenen Disziplinen in Selbstgesprächen befangen sind.
Der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff kam immer wieder auf die Abtreibungen zu sprechen. Sie würden durch die unheilige Verbindung der neuen Erkenntnisse aus vorgeburtlicher Diagnostik mit dem Wunsch nach einem gesunden Kind gefördert. Schockenhoffs Wiederholungszwang löste sichtbaren Widerwillen bei der Nobelpreisträgerin Christine Nüsslein-Volhard aus. Sie wollte nicht immer nur über Abtreibung reden. Ihr Thema waren die „furchtbar vielen Missverständnisse“, die es in der Debatte noch gebe. Der Molekularbiologe Jens Reich wollte nicht gern nur über mögliche Abgründe sprechen. Schließlich werde der Versuch, den idealen Menschen in einem „Ingenieursakt“ zeugen zu wollen, immer „in Pfusch“ enden. Er habe sich zum Beispiel das Ziel gesetzt, „das Dahindämmern“ von Menschen mitten im Leben aufgrund von Krankheiten wie Alzheimer zu bekämpfen.
Ein wunderbares Stichwort für die Politik, das Bulmahn weidlich nutzte. Man müsse den „Segen der Gentechnik fördern“ und die „Risiken vermeiden“, lautete ihre fernsehkompatible Botschaft. So einfach ist das also. Man muss eben bloß das Gute tun und das Schlechte unterlassen. Allein Peter Sloterdijk, fünfter Gast auf dem Podium und derzeit viel beschäftigter Vortragsreisender in Sachen Biotechnologie, schien die Debatte zu überblicken. Was ihn ebenfalls nicht daran hinderte, am Rest des Podiums vorbeizureden.
Ein so hochkarätiges Podium, so sprachgewaltig und doch so dialoglos. Dies ist den geladenen Forschern kaum anzulasten. Eher der Forschungsministerin, die es versäumt hatte, diejenigen aufs Podium zu heben, die das Thema auf die Tagesordnung gebracht hatten: Verbraucherschützer, Ökologen oder Menschenrechtler. Die Diskussion konkreter Anliegen hätte die Disziplinen verbinden können.
Aber wahrscheinlich muss man sowieso scheitern angesichts eines so sperrigen Leitbegriffs wie der Lebenswissenschaften. Der Begriff mag zwar den Versuch dokumentieren, den Menschen wieder als Ganzes zu sehen – gelingen tut das deshalb noch lange nicht. Interdisziplinarität ist ein trockenes Brot, das in kleinen Stücken gekaut werden muss. Ist darüber hinaus die Debatte wie im Gropius-Bau nur ausreichend allgemein, eignet sich der Begriff prächtig als Nebelkerze, in deren Dunst Bulmahn prächtig behaupten kann, dass sich der Segen der Technik ohne die Risiken genießen lasse. Dabei gibt es genug Beispiele in der Technikgeschichte, die beweisen, dass zumeist nicht böser Wille das Problem ist. Zum Problem werden vielmehr die „Racheeffekte“ (Edward Tenner), die gut gemeinte Neuerungen auslösen. In diesem Licht bereitet Bulmahns Ankündigung, mit ihrer Veranstaltungsreihe Lebenswissenschaften den „Weg der Aufklärung“ gehen zu wollen, eher Unwohlsein.
MATTHIAS URBACH
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