HALLO, FRAU MERKEL, SIE HABEN DA WAS VERGESSEN!: Opposition und Opportunismus
Huhu, Frau Merkel! Hallo! Ja, wir sind‘s. Schön, dass Sie uns erkennen. Dann steht es vielleicht doch nicht so schlimm um Sie, wie wir gerade dachten, als wir diese Meldung aus Washington lasen. Na, mit Ihrer Krankheit, dieser partiellen Amnesie. Wir haben uns Sorgen gemacht, weil die Krankheit doch gerade voll ausgebrochen ist. Während Ihres Besuchs in den USA haben Sie Verständnis dafür gezeigt, dass die Amerikaner das Kioto-Protokoll ablehnen. Das sei ja ohnehin nicht durch den Kongress zu bringen. Präsident Bush habe nur ausgesprochen, was auf der Hand lag.
Das stimmt. Aber sehen Sie, da war er wieder, Ihr Gedächtnisschwund. Wir haben lange und angestrengt nachgedacht und uns dann erinnert: Damals, in Kioto, das waren doch Sie, oder nicht? Als deutsche Umweltministerin, die das Protokoll zur Begrenzung der Treibhausgase mit verhandelt hat? Wissen Sie noch, wie Sie nachts entweder verhandelt oder die widerspenstigen Staatsmänner an die Bar gedrängt haben, um zu einem Ergebnis zu kommen? Wie Sie vorher davon geredet haben, es sei „nicht akzeptabel“, das Problem zu verschieben und hinterher von einem „Meilenstein“ gesprochen haben? Und wie selbst der letzte Öko Ihnen zu Hause auf die Schulter geklopft hat? Da waren Sie ganz schön stolz, damals.
Aber das ist ja nun vorbei. Stolz sind Sie nur noch, eine Deutsche zu sein. Und gegen die „(Ö)K.O.-Steuer“ die geknechteten Autofahrer anzuführen. Auch da haben wir für Sie mal im Archiv nachgesehen, und wissen Sie was? Das fanden Sie ganz ganz früher, also vor 1998, auch eine tolle Idee: Öl teurer machen, damit der Verbrauch sinkt und die Umwelt entlastet wird. Und die Autos sollten weniger fahren, um nicht so viel Ozon zu produzieren. Da hat Ihr Kanzler Kohl – Sie erinnern sich, dieser große, schwere Mann mit dem pfälzischen Dialekt – Sie so heftig abgebügelt, dass Ihnen am Kabinettstisch die Tränen kamen.
Solche Verletzungen verdängt man natürlich gern, Frau Merkel. Und wir wissen auch, dass es nicht leicht ist, in einer Partei den Überblick zu behalten, die offenbar nur aus vergesslichen Greisen besteht: Wann genau wer jetzt wo wie viel Geld von wem zugesteckt bekommen hat und sich plötzlich nicht mehr an die Millionen erinnert, die auftauchen oder verschwinden – da kann man schon mal die Kontrolle verlieren. Wie bitte? Sie spielen jetzt eine andere Rolle, Sie sind nicht mehr Ministerin? Das stimmt. Aber Ihre Aufgabe ist doch eigentlich Opposition – und nicht Opportunismus um jeden Preis. Oder haben Sie das auch vergessen?
BERNHARD PÖTTER
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