: Eine Kette der Gewalt
Im Türstehermilieu geht es rabiat zu. Gewaltdelikte wie gefährliche Körperverletzung gehörenlaut Polizei fast zum Alltag. LKA-Chef fordert Besucher auf, betroffene Diskotheken zu boykottieren
von PLUTONIA PLARRE
Unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen beginnt heute im Kriminalgericht Moabit ein Prozess um den Tod eines Mitglieds des polizeilichen Sondereinsatzkommandos (SEK). Der 37-jährige Beamte Roland Krüger war im April durch einen Schuss in den Hals lebensgefährlich verletzt worden, als das SEK eine Neuköllner Wohnung stürmte, um einen gesuchten Straftäter aus dem Türstehermilieu festzunehmen (siehe unten). Wenige Tage später starb der Beamte.
Der Fall hat schlagartig klar gemacht, was für eine Gewalt ausgerechnet von der Berufsbranche ausgeht, deren Aufgabe es eigentlich ist, für die Sicherheit der Gäste zu sorgen. Die Schüsse auf den SEK-Beamten sind zwar ein Einzelfall. Folgt man jedoch den Angaben des Leiters des Landeskriminalamtes (LKA), Peter-Michael Haeberer, stehen sie für eine Kette von Gewaltdelikten, die im Türstehermilieu mittlerweile fast zum Alltag gehören.
Von rund 300 Bewachungsunternehmen, die in Berlin tätig sind, bieten rund 60 Türsteherdienste an. Von diesen sind 45, also 80 Prozent, polizeirelevant, das heißt, die Angestellten – einzelne Dienste beschäftigen bis zu 50 Türsteher – fallen dadurch auf, dass sie alles andere als sauber arbeiten. Dass über die Türsteher kriminelle Machenschaften wie Frauen-, Drogen- und Waffenhandel sowie Schutzgelderpressung abgewickelt werden, ist hinlänglich bekannt. Wenig bis gar nicht geredet wird in der Öffentlichkeit dagegen von den zahlreichen Körperverletzungsdelikten in dieser Branche. „Die Türsteher“, so Haeberer, „bestimmen das Klima in der Diskothek.“ Von den rund 300 Berliner Diskotheken fallen zwar „nur“ 30 Unternehmen durch Straftatenvorkommnisse auf. Dafür geht es in den 30 polizeirelevanten Einrichtungen umso heftiger zu. Pro Disco und Jahr werden von der Polizei 9 bis 44 Vorkommnisse von Gewalt gezählt. Die Spitzenzahl bedeutet: fast jede Woche eine Gewalttat. „Wir sprechen hier nicht von Rempeleien“, erklärt Haeberer, „sondern von gefährlicher Körperverletzung bis hin zum Totschlag.“ Im Westteil Berlins wird die Türsteherszene im Vergnügungssektor laut Polizei von türkischen und arabischen Gruppen beherrscht, zu denenauch die beiden türkisch-libanesischen Großfamilien Ali-K. und Al-Z. gehören sollen, die im Prozess um die Todesschüsse eine Rolle spielen. Im Ostteil und im Umland überwiegen Deutsche insbesondere aus der Rocker- und Hooliganszene.
Bereits seit 1988 gibt es im LKA eine spezielle Ermittlungsgruppe „Türsteher“, die Anfang 2001 durch Hinzuziehung von Beamten anderer Dienststellen in die Dienstgruppe „Besondere Aufgabenorganisation (BAO) Türsteherszene“ umbenannt und aufgestockt wurde. Mit einer gezielten Strafverfolgung und Kontrolle, der LKA-Chef nennt es „Betreuung“, versucht die Polizei in Zusammenarbeit mit den Arbeits- und Wirtschaftsämtern, den Sumpf trocken zu legen. Da die Gastronomen und Türsteherfirmen häufig auch Verstöße gegen die Gewerbeordnung begehen, kann ihnen auch die Konzession entzogen werden.
Auch dem Jungle-Club in Neukölln, wo die Ereignisse, die später zum Tod des SEK-Beamten führten, ihren Anfang nahmen, hat das Wirtschaftsamt am 24. September die Konzession entzogen. Die Türsteherfirma K4, die das Etablissement bewachte, ist seitdem wegen Verstoßes gegen das Gewerberecht die Konzession los. Die Frage ist allerdings, wie lange. Denn branchenüblich erfolgen Neuanmeldungen über Strohleute.
Auch vor Gericht hat die Polizei schon Erfolge erzielt. Eine Türstehergruppe aus der Hooliganszene wurde 2002 unter anderem wegen versuchten Mordes zu insgesamt 130 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ähnlich erging es kurdisch-libanesischen Türstehern, die 2000 unter anderem wegen Drogenhandels zusammen 55 Jahre bekamen.
Aber auch bei der Polizei gibt es den einen oder anderen Nestbeschmutzer. Im Fall des Jungle-Clubs wurde ein Polizist libanesischer Herkunft vom Dienst suspendiert, weil er am Tatort Blutspuren beseitigt haben soll, bevor die Kollegen von der Kripo kamen. Die Ermittlungen in dem Fall laufen noch. Haeberer bestätigt ganz allgemein „Einzelfälle“, wonach es schon vorgekommen sei, dass Polizisten in Fitnessstudios mit Anabolika gehandelt oder nebenbei als Türsteher gejobbt hätten. Aber selbst für den Fall, dass es sich um einen legalen Nebenjob handelt, kündigte der LKA-Chef an, dass diese Arten von Tätigkeit mit dem Beruf eines Polizisten nicht vereinbar seien und dienstrechtliche Konsequenzen hätten.
Was den Prozess angeht, hofft Haeberer, dass der Fall der Gesellschaft für die Brutalität in der Vergnügungsbranche und Türsteherszene die Augen öffnet und dass sich die seriösen Gewerbezweige von der unseriösen Branche „entkoppeln“. Auch die Kunden könnten einen Beitrag dazu leisten, indem sie die entsprechenden Diskotheken boykottierten, „mit den Füßen abstimmen“.
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