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THTR–Betreiber schalteten Meßgerät bei Störfall ab

■ Untersuchungsbericht zum Störfall im Reaktor Hamm–Uentrop vorgelegt / Wegen fehlender Dokumente konnte das Ausmaß des Störfalls nicht festgestellt werden

Aus Bochum Petra Bornhöft

Während des Störfalles im Hochtemperaturreaktor Hamm–Uentrop (THTR) Anfang Mai schalteten die Betreiber das einzige Gerät zur Messung der in die Umgebung entwichenen Radioaktivität ab. Das geht aus dem jetzt veröffentlichten Untersuchungsbericht der von Wirtschaftsminister Jochimsen eingesetzten Sonderkommission hervor. Die Abschaltung des Meßgeräts erfolgte „gerade zu einem Zeitpunkt, bei dem die kurz zuvor zurückgegangene Aerosolkonzentration in der Abluft wieder anstieg“, heißt es in dem Bericht. In der gleichen Nacht weist der Meßstreifen drei weitere, bis zu einstündige „Leerstellen“ auf. Im Nachhinein nannten die Betreiber „Kopiervorgänge und Zeitabgleich“ als Grund für die Abschaltung des Meßgerätes - eine Argu mentation die von Fachleuten angezweifelt wird. Darüberhinaus kann die sogenannte Abgaberate, aus der eine mögliche Überschreitung von genehmigten Tagesgrenzwerten für entwichene Radioaktivität ersichtlich ist, bisher im THTR ohnehin nur „manuell ermittelt bzw. abgeschätzt werden“. Der erforderliche Rechner soll nach Angaben der Untersuchungskommission erst Ende dieses Jahres funktionsbereit sein. Demzufolge operiert der Untersuchungsbericht mit kaum nachvollziehbaren Rechnungen, Abschätzungen und Vermutungen und bleibt deshalb vage: „Es ist nicht eindeutig festzustellen, ob der für Abgaben radioaktiver Aerosole aus dem THTR genehmigte Tagesgrenzwert nicht geringfügig überschritten wurde“. Die Ermittlungen der Aufsichtsbehörde beruhen hauptsächlich auf Angaben der Betreiber. Eine genaue Rekonstruktion der untersuchten „Ereignisse am 4.5.86“ stieß mehrfach auf das Problem fehlender Eintragungen in den vorgeschriebenen Dokumentationsunterlagen, über die „nicht in allen Fällen zwischen Betriebsführung und Aufsichtsbehörde eine einheitliche Auffassung besteht“, heißt es in dem Bericht. So ließen sich Ursachen und Abläufe einzelner Arbeitsgänge mehrfach „nicht mehr feststellen“. Bei dem Versuch, vierzig Absorberelemente in den Kugelhaufenreaktor einzuschleusen, so heißt es weiter, „verwechselte“, „vergaß“ und „übersah“ der Leitstandfahrer Abläufe in der Beschickungsanlage - bis endlich Gas und radioaktive Ablagerungen in die Umgebung strömten. Fortsetzung auf Seite 2 Warum der Betriebsphysiker „noch 40 Kugeln telefonisch anforderte“, wieviele davon zu Bruch gingen, ob nicht bereits am 3.5. im Reaktor etwas Unerwartetes passierte - auf diese Fragen geht der Bericht ebensowenig ein wie auf unplanmäßige Vorfälle in der Folgezeit. Von der durch das Düsseldorfer Wirtschaftsministerium wiederholt angekündigten „lückenlosen Aufklärung“ der Vorfälle im THTR ist damit kaum etwas übrig geblieben. „Unglaublich schlecht recherchiert“ lautete der erste Kommentar von Dr. Grönemeyer zu den Ergebnissen des Berichtes. Seinen um Größenordnungen höheren Meßergebnissen von Luft– und Bodenkontamination in der Umgebung des THTR hält der Düsseldorfer Bericht schlicht eine andere Meßmethode entgegen. Unerwähnt bleibt dabei, daß die der Aufsichtsbehörde unterstehende Zentralstelle für Sicherheit Dr. Grönemeyers Meßergebnisse mittlerweile öffentlich bestätigt hat. Sehr kurz fiel in dem Bericht auch die Entgegnung an das Freiburger Ökoinstitut aus, dessen Meldung den Störfall überhaupt erst publik machte. Auswertungen von Meßstationen um den THTR durch die Landesanstalt für Immissionsschutz (LIS), so heißt es in dem Bericht, „widerlegen durch den festgestellten Meßwertzeitverlauf die Aussagen Dritter, daß mehr als 70 Prozent der Bodenkontamination der Umgebung auf Abgaben aus dem THTR zurückzuführen sind. Demgegenüber läßt der Meßwertzeitverlauf die Auswirkungen des Reaktorunfalles von Tschernobyl erkennen“. Ungeklärt bleibt auch, ob es Anfang Juni, zu einem Zeitpunkt, an dem Dr. Grönemeyer erneut besonders hohe Kontaminationswerte gemessen hat, zu einem weiteren Störfall im THTR gekommen ist. Dafür hat sich die Düsseldorfer Sonderkommission offenbar nicht interessiert. Zu jener Zeit soll es wiederum zu einem Druckerausfall an sämtlichen Meßstationen gekommen sein.

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