: Neue Frömmigkeit im „Warenhaus“
■ Der 89. Katholikentag in Aachen zwischen Regierungsveranstaltung und Wallfahrt
„89 und kein bißchen weise“, lästerten die Katholiken von unten über den „Katholikentag von oben“. Doch kritische Interventionen wurden eher leise vorgetragen, zu großen Reibungen kam es trotz oder gerade wegen eines ausufernden Angebotes nicht. Die Attraktivität der „Generalversammlung“ aller Katholiken hat sichtbar abgenommen. Der große Ansturm vergangener Jahre blieb aus, auch das emotionale Aufbäumen gegen Verkrustungen und Tabus. Die Grünen und der § 218 forderten noch am meisten zum Streit herus. Die Politiker nutzten die Gelegenheit zu frühen Wahlkampfgesten, und in einem hatte der Kanzler recht. Die Kirche, bat er, möge doch im Dorf bleiben.
Aachen quillt in diesen Tagen über vor Menschen. Zehntausende? Hunderttausende pro Tag oder mehr? Wieviel Einwohner sind geflüchtet? So genau weiß das keiner. Fest steht allerdings, es sind, entgegen den Voraussagen und zur Enttäuschung der Veranstalter, weit weniger als auf dem letzten Katholikentag 1984 in München: 35.000 statt 65.000 angemeldete Dauerteilnehmer. Dennoch ist die Stadt am Rande ihrer räumlichen Möglichkeiten. Der Straßenverkehr bricht teilweise zusammen, Menschentrauben schieben sich durch die enge Innenstadt, an jeder Ecke stehen Grüppchen von Auswärtigen und brüten über mickrigen und lückenhaften offiziellen Stadtplänen, um die weit auseinanderliegenden Veranstaltungsorte zu finden. Weite Wege sind durchaus gewollt. „Im Miteinander unterwegs sein“ nennt der gastgebende Bischof Hemmerle die neue Art der christlichen Bewußtseinsbildung. Es gibt wenig große Kundgebungen (allein schon, weil dazu Plätze und Hallen fehlen), stattdessen Unmengen dezentraler Veranstaltungen in fünf Stadtbezirken, die je einem Themenschwerpunkt zugeordnet sind. Die Angebote zu „Weltkirche“ und „Technik und Verantwortung für die Zukunft des Lebens“ finden den meisten Zuspruch. Insgesamt sind es weit über 1.000 Termine in viereinhalb Tagen, da verpaßt jeder fast alles. Ein „Warenhauskatalog“ schimpfte Pax Christi. Trotzdem: Auf den ersten Blick klingt so manches Thema interessant, weil spannungsgeladen, sogar aktuell politisch, Raum bietend für kontroverse Diskussionen. Doch der Schein trügt, eine politische, auseinandersetzungsbereite katholische Amtskirche gibt es auch in Aachen kaum. Das hat mehrere Gründe. Einmal ist da die peinliche Wei gerung des ZDK, auch nur einen einzigen Redner oder Podiumsteilnehmer aus dem grün–alternativen Spektrum einzuladen. Da gibt es „keine Gesprächsebene“, so das Verdikt des ZDK–Präsidenten und bayerischen CSU–Kultusministers Hans Maier, „weil die Grünen nicht auf dem Boden der Verfassung stehen“. Ein christlicher Diskurs, etwa mit dem „Arbeitskreis Christen bei den Grünen“, der die engen Grenzen der Amtskirche berührt, ist unerwünschte Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Aber nicht nur das: In der Liste der Referenten findet sich das halbe Bonner Kabinett wieder. Ob Wörner, Warnke, Blüm oder Süssmuth - sie alle dürfen ihre Partei–Politik im katholischen Gewand verkaufen. Die CDU/CSU dominiert in Aachen und kann so manche ihrer Wahlkampfthemen geschickt unter die Gläubigen mischen. Hinzu kommt, daß erstmals ein Katholikentag mit einer Heiligtumswallfahrt kombiniert wurde. Wenn in täglichen Ritualen den Gläubigen angeblich echte Windeln und Schweißtücher Jesu zur Verehrung und Anbetung hingehalten werden, bedeutet die Zusammenlegung der beiden Feste doch eines: Schwerpunkt sind Frömmigkeit, Religiosität des einzelnen, Tage der inneren Besinnung ohne Impulse für das gesellschaftliche Leben. Auch die Art und Weise, wie politische Diskussionen geführt werden, ist verblüffend. Wörner und Bahr auf dem Podium zum Thema Atomrüstung - da müßten doch die Fetzen fliegen. Aber nein: Sie tragen ihre Meinung wie eine Predigt vor. Auch die Protestbewegung ruht sanft in diesen Tagen und starrt wie ein leibhaftiges Kaninchen auf die katholische Schlange. Kein Aufruf „Wörner kommt“ - man gibt sich abstinent. Wie schon bei den letzten Katholikentagen gibt es auch hier einen Kirchentag von unten, der die offiziellen Tabuthemen Homosexualität und Verhütung, sowie das Rassistenregime in Südafrika und die Theologie der Befreiung in den Mittelpunkt stellt. Das Zentralkomitee kann sich freuen, daß die innerkirchlichen Konkurrenten durch Aachens begrenztes Raumangebot an den Stadtrand gedrängt wurden. Da sind die Begegnungen sehr zufällig. Und so bleiben sie in ihrem - ohnehin recht mäßig besuchten - Ghetto. Brisanten Themen wird ein kirchliches Mäntelchen gegeben und schon diskutieren etwa Jo Leinen und Joschka Fischer über „Gottes verstrahlte Schöpfung - Befreiung von der Kernenergie“, und versuchen dabei, immer mal wieder eine christliche Vokabel einzustreuen. O–Ton Fischer: „Meine Partei hat einen zutiefst unchristlichen Hang zum politischen Selbstmord.“ Und als eine Wackersdorf–Aktivistin vom Podium rief: „Wie die Bäume gefallen sind, das war ein Schrei der Schöpfung“, da schwiegen die 5.000 katholischen Zuhörer verlegen. Bernd Müllender
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