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Und die Gedächtniskirche gibt es doch

■ Eindrücke von der Reise in ein unbekanntes Land / Ein Reisender hält Lichtbildervortrag in einer Ost–Berliner Kirchengemeinde / Eins der schönsten Reiseerlebnisse: Punk aus Berlin–Kreuzberg übt ganz spontan praktische Solidarität

Von Lisette Kranzbühler

Das Licht geht aus, der Filmprojektor beginnt zu rattern und wirft verschwommen flatternde Bilder auf die Leinwand. „Scheiße! Russische Technik!“ flucht der Vorführer halblaut. Die Zuschauer kichern. Als das Licht angeht, sitzen alle 30 Anwesenden wieder mit ernsten und aufmerksamen Gesichtern da. Sie sind gekommen, um sich einen Reisebericht anzuhören. Die Reise ging von Ost– Berlin nach West–Berlin und dann noch in die Bundesrepublik. Wir sind in dem kleinen Versammlungsraum einer Pankower Kirchengemeinde in Berlin–Ost, Treffpunkt unabhängiger Friedens– und Umweltgruppen. An der Wand hängt ein gemaltes Pappschild: „Schwerter zu Pflugscharen“ und eine Wandzeitung mit einer deutschen Adaption des Tina–Turner–Songs „We dont need no other heroes“. Sie endet mit der Frage: „Welchen Helden brauchst du?“. Die Tischtennisplatte ist zur Seite gerückt. In dem freien Raum zwischen dem Regal mit den Bibeln und Gesangbüchern und der Sitzecke aus alten Polstermöbeln sind Stuhlreihen aufgestellt, die heute restlos besetzt sind. Die Veranstaltung ist nicht „privat“ und nicht „öffentlich“, wie es heißt. Das bedeutet, unter den Anwesenden sind neben den untereinander bekannten Friedens–Aktiven auch einzelne sonst nicht in diesem Kreis engagierte Gemeindemitglieder und selbstverständlich jemand vom Stasi (Staatssicherheitsdienst). Wer es genau ist, weiß man nicht, aber man hat seine Vermutungen. Andreas, der über seinen Ausflug in den Westen berichtet, drückt sich vorsichtig aus, hält sich aber in seinen Einschätzungen trotzdem nicht zurück. Er hatte ein Visum bekommen, um zum 70. Geburtstag seines Vaters nach Hannover zu fahren. Direkt nach Überqueren der Staatsgrenze zwischen Berlin–Ost und Berlin–West trifft ihn die erste Überraschung: West–Berlin, dieses unbekannte Gebilde jenseits der Mauer, ist riesengroß. Dann die Gedächtniskirche: „Also, ich kann euch bestätigen, die ist nicht aus Pappmache, die gibt es wirklich!“. Erster Kontakt mit West– Berliner Polizisten: „Die sind nicht so steif wie unsere, irgendwie lockerer, aber darin liegt gleichzeitig so eine lauernde Gefährlichkeit. Wenns drauf ankommt, sind sie wohl auch nicht anders als die Polizei ...“ - kurzes Zögern - „... irgendwo anders auf der Welt!“ Noch am gleichen Tag gehts weiter, Transit nach Westdeutschland. Noch unter dem Eindruck des Auftretens der DDR– „Grenzorgane“ und den süffisanten Bemerkungen von antikommunistischen Mitreisenden, fragt sich Andreas, wohin er eigentlich gehört. Mit Parka, langem Haar und Bart wird er hier wie da gleich als Außenseiter eingestuft. In der Messe–Metropole sucht er erst einmal Schutz und Rat beim Roten Kreuz, unternimmt von da an vorsichtige Streifzüge durch die Stadt. Jetzt sehen wir wieder ein Stückchen Film und ein paar Dias. Die Bilder zeigen Reklamewände und Schaufenstersauslagen. „Alles ist unglaublich bunt, und dieser Unsinn auf den Reklametafeln überall erschlägt einen richtig. Aber die Westdeutschen sagen, daß sie die Sprüche überhaupt nicht mehr sehen. Ist wohl so ähnlich wie hier mit den Partei–Parolen.“ Da Andreas sich für „Reformen“ interessiert, wie er sagt, hat er in Hannover die einschlägigen Geschäfte dafür aufgesucht: Auf dem nächsten Bild sehen wir die Auslagen eines Reformhauses - Angorawäsche und sanfte Nahrungsmittel. Nach dem Familienbesuch folgt Andreas der Einladung eines Bekannten aus Dortmund, der dort mit den Stadtstreichern arbeitet und zur grünen Rathausfraktion gehört. „Mein Friedensfreund“, sagt Andreas und vermeidet, einen Namen zu nennen. Es war der Tag des US–Bombenangriffs auf Libyen. In Dortmund wurde eine „Spontandemonstration“ durchgeführt. Obwohl sie nicht angemeldet war, gab es keine Schwierigkeiten mit der Polizei. Aber auch die Passanten in der Fußgängerzone nahmen kaum Notiz von den Demonstranten, konstatiert Andreas. Den Lautsprecherwagen stellte die DKP, die bei der Gelegenheit auch einige ihrer Parolen unterbringen konnte. Gut sei es immer, wenn man die DKP ganz kurzfristig in Aktivitäten hineinziehen könnte, bevor sie sich Direktiven von oben holen können. „Dann kann man mit denen machen, was man will.“ Die Zuhörer lachen. Ein sehr junger Mann will wissen, ob Andreas denn nur eine einzige Demonstration mitbekommen habe, „da müssen doch praktisch jeden Tag Demos sein!“. Ganz so ist es auch nicht, schränkt Andreas ein, vor allem bleiben die Demonstrationen ziemlich wirkungslos. Weitere Aufnahmen zeigen ein paar der Stadtstreicher, die sein „Friedensfreund“ betreut, im Schummerlicht von Dortmunds Kneipen. Einer, der selbster nannte „Berberkönig“ von Dortmund, hat sich für die Fotografie in Positur gesetzt. „Warum sind die denn so gut angezogen?“, fragt einer der Zuhörer. „Ach, da wird doch alles weggeschmissen, was nicht mehr der neuesten Mode entspricht. Das ist ne richtige Wegwerfgesellschaft.“ Eindrücke vom Rückweg über West–Berlin: Eine Fahrt mit der West–U–Bahn unter dem Gebiet von Ost–Berlin hindurch durch die zugemauerten Ost–Bahnhöfe. „Diese dunklen, leeren Bahnhöfe, das ist gespenstisch, erinnert irgendwie an die Fahrt durch die Zone in dem Film Stalker. Könnte man zur 750–Jahr–Feier mal renovieren“, schlägt eine Zuhörerin vor. Andreas berichtet auch über die ständige Bettelei der Berliner Punks an Kreuzberger–U–Bahnhöfen. Ein anderer weiß den passenden Witz dazu: „Haste ma ne Mark? Nee, hab ich nicht. Oder haste ne Zigarette für mich? - Ich rauch nicht! - Ne Mark haste nicht, ne Zigarette auch nich, dann kanste mich ja vielleicht n Stück tragen!“ Da fällt Andreas auch noch die Geschichte ein, die ihm tatsächlich passiert ist: „Fragt mich in Kreuzberg schon wieder einer, ob ich ne Mark habe. Ich sage: Nee, ich habe keine Mark, ich bin aus Ost–Berlin. - Ach, du bist aus dem Osten! Sag mal, willste ne Mark haben? Hier haste ne Mark!“

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