: I N T E R V I E W Option für eigene westdeutsche Nuklearrüstung
■ Interview mit Alfred Mechtersheimer über den militärischen Stellenwert der WAA und die Straußschen Ambitionen für eine deutsche Atomrüstung
taz: „Von Atomen zu Kanonen, dieser Weg muß sich jetzt lohnen.“ So dichtete die CSU– Landesleitung für Franz Josef Strauß 1956 zu seinem Wechsel vom Atom– zum Verteidigungsminister. 1957 unterzeichnete Strauß dann ein trilaterales Geheimabkommen mit Frankreich und Italien zur Entwicklung von Atomwaffen, 1974 stimmte er gegen den Atomwaffensperrvertrag und holte 1984 die WAA nach Bayern. „Die CSU - konsequent für Bayern“, so lautet ein Wahlslogan - die CSU konsequent für die Atombombe? Mechtersheimer: Es gibt in der Bundesrepublik eine politische Logik, die in Richtung einer Option für eine deutsche oder westeuropäische Nuklearrüstung unter Einschluß der BRD hindeutet. Es gibt eine Veränderung im Bewußtsein der politischen Eliten dieses Landes, die auf eine größere Eigenständigkeit abzielt - eine Renaissance des Denkens, das bei Strauß und Adenauer schon 1957 eine große Rolle für ihr eindeutiges Interesse an Atomwaffen spielte. Vielleicht liegt es sogar mit an der Friedensbewegung, die eine allgemeine Atmosphäre geschaffen hat, in der eine Forderung nach eigenständiger Politik gegenüber den USA Gewicht bekommen hat. In den Köpfen der Politiker bis tief in die SPD hinein reift nun eine Vorstellung heran, daß man eigentlich nur dann von der USA loskommt, wenn man eine eigenständige Nuklearrüstung hat. Auch Strauß kommt aus seiner widersprüchlichen Lage, sich in den letzten 15 Jahren vom europäischen Gaullisten zum größten Vasallen amerikanischer Wünsche entwickelt zu haben, nur wieder heraus, wenn sich die Bundesrepublik eine eigene Nuklearfähigkeit verschafft. Wie groß ist dann die militärische Bedeutung der WAA für Atomwaffen? Der militärische Stellenwert der WAA wächst schneller als die Baufortschritte in Wackersdorf vorangehen. Wenn dort im Augenblick Wiederaufbereitunsarbeiten stattfinden würden, wäre das dabei gewonnene „unreine“ Plutonium nicht sehr wichtig. Außerdem lagern ohnehin erhebliche Mengen davon bereits in Hanau. Forschungsminister Riesenhuber hat sicher recht, wenn er sagt, das Plutonium aus der WAA sei für Atomwaffen zu schmutzig. Aber in 10 Jahren oder noch früher ist das technische Verfahren zur Verfeinerung von Plutonium gelöst. Dann ist die Gefahr akut. Welchen Stellenwert besitzen in dieser Frage völkerrechtlich verbindliche Verträge (Paris 1954 oder Atomwaffensperrvertrag 1974), die der BRD den Besitz bzw. die Verbreitung von Atomwaffen bzw. -Material verbieten? Diese Völkerrechtsnormen sind ja alle so gefaßt, daß sie von der technischen Entwicklung unterlaufen werden können. Wenn in der Bundesrepublik der politische Wille da ist, den Schritt zur Nuklearmacht zu tun, wird man sich von solchen Verträgen nicht aufhalten lassen. Gibt es denn einen Zusammenhang zwischen dem Auslaufen des Atomwaffensperrvertrages 1995 und der Inbetriebnahme der WAA in Wackersdorf? Das ist vielleicht ein interessanter Hinweis, aber nicht entscheidend. Es wäre ja absurd zu sagen, mit der Vertragsverlängerung wäre das Problem gelöst. Man wird den Vertrag verlängern, sich aber nicht daran halten. Wenn der politische Wille in der BRD da ist, den Schritt zur Nuklearmacht zu tun, wird man sich von solchen völkerrechtlichen Normen nicht aufhalten lassen. Es gibt keine klaren Aussagen, daß man keine Nuklearwaffen will, auch von der SPD nicht. Ja, die Motive für Helmut Schmidt, sich für Cruise Missile und Pershing II zu engagieren, sind auch damit begründet, daß er auf diese Weise quasi eine deutsche Nuklearteilhabe ins Land bekam. Die eigentliche Gefahr ist, daß es bei einer derart undurchschaubaren und international verflochtenen Nukleartechnologie mit Geheimabkommen mit Frankreich und Arbeitskontakten zu England, das waffenfähiges Plutonium in der WAA herstellt, lediglich ein kurzer Schritt ist, den politischen Willen zur eigenen Nuklearbewaffnung auch umzusetzen. Angesichts des Macht– und Konfrontationsdenkens ist es eigentlich ein Wunder, daß man sich bisher solange zurückgehalten hat. Das Interview führte Bernd Siegler
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