: Belagerungs–Zustände in Burglengenfeld
■ Abschlußkundgebung nach erstem Anti–WAA–Blockadetag verboten / Massiver und brutaler Polizeieinsatz am Abend / Die Einwohner von Polizei wie in besetztem Gebiet behandelt / „Damit seid ihr bei uns unten durch“
Von Bernd Siegler
Burglengenfeld (taz) - Zwei Wasserwerfer fahren über den Marktplatz der 8.000 Einwohnerstadt, die etwa 25 km vom Bauplatz der Wiederaufbereitungsanlage entfernt liegt. Zum Teil mit Hubschraubern eingeflogene BGS– und Bereitschaftspolizei– Trupps, ausgerüstet mit Bambusschlagstöcken, sowie SEK–Einheiten aus Nürnberg und München stehen etwa 1.500 WAA–Gegnern und Bürgern gegenüber. Grund: als Abschluß des ersten Anti– WAA–Blockadetages sollte um 18 Uhr eine Kundgebung in Burglengenfeld stattfinden, dem Standort der Heidelberger–Zement AG. Die Firma, die sich mehrheitlich im Besitz der Dresdner Bank befindet und über großen Landbesitz in der Umgebung von Burglengenfeld verfügt, liefert den Beton für den Bau der WAA. Um 17.15 Uhr wird der Anmelder der Kundgebung von der Polizei verständigt, daß ein Verbot der Versammlung erwogen werde. Um 17.45 Uhr verfügt das Innenministerium schließlich das Verbot. Zu spät, denn zu dieser Zeit haben sich bereits etwa 500 WAA– Gegner auf dem Marktplatz versammelt, umringt von etwa 1.000 Burglengenfelder Bürgern. Angesichts der Tatsache, daß bereits seit den Nachmittagsstunden starke Polizeieinheiten am Ortsrand von Burglengenfeld zusammengezogen worden waren, sprechen Mitglieder des Blockade– Ausschusses später von einer „gezielten Provokation“. Mit einem martialischen und absolut unver hältnismäßigen Einsatz sollte die Polizei den letzten Rest von Sympathien bei der Bevölkerung verlieren. Als zwei LKWs, einer davon von der Heidelberger Zement AG, auf dem Marktplatz blockiert werden, fordern 20 Landpolizeibeamte die WAA–Gegner auf, die Straße freizuhalten. Infolge eines anschließenden Gerangels wird eine Demonstrantin 50 Meter weit an den Haaren geschleift, eine weitere festgenommen. Und nachdem ein BGS–Zug zur Unterstützung der örtlichen Landpolizisten eingetroffen ist, geht es Schlag auf Schlag. Nach einem kurzen Sprint der WAA–Gegner, die ca. fünf Meter vor der BGS– Kette halten, gibt der Einsatzleiter die „Knüppel frei“ und treibt die Demonstranten quer über den Marktplatz. Begleitet von Pfeifkonzerten und „Mörder“–Rufen der Burglengenfelder treffen mehrere Hundertschaften BGS ein, Puma– Hubschrauber setzen Bereitschaftspolizei–Trupps aus Göppingen ein. Zwei Wasserwerfer fahren quer über den Marktplatz und postieren sich am oberen Ende. „Ihr wollt doch nur die Provokation“, rufen Einheimische den Einsatzkräften zu, als die Polizei beginnt, den gesamten Marktplatz von unten nach oben abzuräumen. Dabei spielen sich gespenstische Szenen ab. Niemand weiß, ob nicht auch die Seite, auf die die WAA–Gegner getrieben werden, abgesperrt ist, Scheinwerfer leuchten die Szenerie aus. Vereinzelte Festnahmen heizen die Situation ebenso auf wie die ständig über Megafon verbreiteten Befehle des Einsatzleiters: „Los Leute, auf gehts.“ Erst um 21 Uhr gibt die Polizei den Marktplatz und damit die wichtigste Durchfahrtsstraße in Burglengenfeld wieder frei. Bis dahin müssen sich die Bewohner wie in einem besetzten Gebiet behandeln lassen. Sie dürfen sich weder frei bewegen noch nach Hause gehen oder Telefonzellen benutzen. Von vielen WAA–Gegnern wird der massive Polizeieinsatz als Reaktion auf die Vorgänge vom Nachmittag angesehen. Um 14 Uhr hatte ein Zug von etwa 400 WAA–Gegnern das absolute Demonstrationsverbot in Burglengenfeld durchbrochen. Sie zogen zur Heidelberger–Zement AG und wurden von Polizeieinsatzkräften, unterstützt von Hubschraubern und Hunden, zurück auf den Marktplatz abgedrängt. Ein Einkesselungsversuch der verbotenen Demo schlug fehl. Auf dem Marktplatz löste sich die Demonstration nach etwa einer Stunde auf. Während dessen verteilte die örtliche CSU Flugblätter, in denen sie davor warnte, Burglengenfeld zum neuen Zentrum des WAA–Widerstands zu machen. „Wir wollen keine Wandbeschmierer und auch keine Bombenleger.“ Unterzeichnet: „Viele besorgte Burglengenfelder Bürger“. Von den vielzitierten besorgten Bürgern war bei dem Großeinsatz am Abend allerdings nichts zu sehen. Im Gegenteil: Empörung, Bestürzung und Entsetzen nicht nur über die von Polizisten zertrampelten Blumenbeete, sondern vor allem über die Prügel– und Räumaktion waren die Regel. „Damit seid ihr unten durch“, schrie ein Bürger und meinte nicht nur die auswärtigen BGS– und BePo–Beamten, sondern auch die örtliche Polizei.
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