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„Lex Altun“ im Bundestag eingebracht

■ Koalitionsparteien präsentieren Gesetzentwurf zur Harmonisierung von Asyl– und Auslieferungsrecht / Neuer Gerichtstypus beabsichtigt / Grüne und SPD sehen rechtliche Verschlechterung für Asylsuchende

Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - Drei Jahre nach dem „tragischen“ Tod des türkischen Asylbewerbers Kemal Altun haben die Regierungsparteien gestern nun einen Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht, der den damals erhobenen Forderungen nach einer Harmonisierung des Asyl– und Auslieferungsrechts gerecht werden soll. Der Tod Kemal Altuns hatte vor drei Jahren bundesweite Empörung ausgelöst, weil der Türke aus Verzweifelung über ein Rechtssystem, in dem auch anerkannte Asylbewerber an ihren Verfolgerstaat ausgeliefert werden können, zu dem tödlichen Sprung aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts getrieben wurde. In diesem Kernpunkt, so kritisierte der Abgeordnete der Grünen, Ströbele, den Gesetzentwurf in der gestrigen Debatte, bleibe die Koalition weit hinter den Erwartungen zurück. Der Entwurf schließt die Auslieferung eines Asylberechtigten nach wie vor nicht grundsätzlich aus, sondern will sie davon abhängig machen, ob der um Auslieferung ersuchende Staat die Gewähr bietet, den Betreffenden nach einer Auslieferung nicht politisch zu verfolgen. Diese Formulierung weicht kaum von geltendem Recht ab, da eine Auslieferung aus politischen Gründen auch nach dem bestehenden Gesetz über die „Internationale Rechtshilfe in Strafsachen“ verboten ist. Daß sich zum Beispiel die Türkei in der Vergangenheit mehrfach darüber hinweggesetzt hat, war gerade einer der Gründe für die geforderte Gesetzesänderung. Das eigentlich Neue nach dreijährigen koalitionsinternen Beratungen ist denn auch etwas anderes: die Koalition will einen neuen Gerichtstypus schaffen, der sowohl über den Auslieferungs– als auch über den Aslantrag entscheiden soll. Das Gericht soll aus drei Richtern vom Oberlandesgericht und zwei Oberverwaltungsrichtern, die für den nötigen Sachverstand in Asylfragen sorgen sollen, zusammengesetzt werden. Dieser neuzuschaffende Senat an allen Oberlandesgerichten - die bislang allein für Auslieferungsentscheidungen zuständig sind - entscheidet immer dann, wenn die Auslieferung eines bereits Asylberechtigten verlangt wird. Fallen Asylantrag und ein Auslieferungsersuchen zusammen, soll zukünftig erst einmal die Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgewartet werden. Wird der Asylbewerber abgelehnt, bleibt es bei der bestehenden Regelung, wird er anerkannt, kommt der neue Senat zum Zuge. Dieser entscheidet nun letztinstanzlich, also endgültig, über den Asylantrag als auch das Auslieferungsersuchen. Unter dem Strich, so Grüne und SPD in der gestrigen Debatte, bedeutet das vor allem eine rechtliche Verschlechterung für Asylsuchende. Äußerungen von Koalitionssprechern war zu entnehmen, daß der Gesetzentwurf noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll, und zwar zusammen mit der Verschärfung des Asylverfahrensgesetzes.

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