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„Wir haben die Polizisten sensibilisiert“

■ Die Pariser Regierung zieht derzeit alle Register / Nach den Bombenattentaten freie Bahn für brutale Kontrollen Eine „polivalente“ Aktion / Solidaritätsgruppen momentan zerstritten: „Vieles muß wieder aufgebaut werden“

Aus Paris Georg Blume

Alltag in der Pariser Metro. In Zivil stehen die Polizisten zu sechst oder acht im U–Bahnschacht Spalier. Jetzt nur nicht Afrikaner oder Araber sein. Während ich schon routinemäßig mit starrem Blick passiere, wird den Fahrgästen anderer Hautfarben die Tasche entrissen, noch bevor ein Wort gewechselt ist. Keine Höflichkeitsfloskel ist mehr angesagt. Wer freche Antworten gibt, wird mit gehobenen Händen mit dem Kopf zur Wand gestellt. Das geht alles sehr schnell; Passanten weißer Hautfarbe werden selten gestört. Doch selbst mir passiert es einmal, daß mein Körper nach Waffen wenig kleiderschonend abgetastet wird, noch bevor ich meinen Paß zeigen kann. Ob ich zur RAF gehöre, will der Bulle dann noch wissen. Vielleicht sollte ich mich demnächst besser rasieren. Paris hat die Bombenattentate überstanden - bisher sind keine weiteren angesagt - die Polizeiaufgebote aber auch geblieben. Christian Leoty, Divisionskommissar und Chef der Luft– und Grenzpolizei auf dem Pariser Flughafen Orly, ist indessen zufrieden. Attentatswelle und neue Gesetzgebung haben seine Machtposition gestärkt. „Wir haben die Beamten sensibilisiert. Hier ist jeder motiviert,“ sagt der Kommissar. Wohin die Arbeit führt, beschreibt er selbst: „Unsere Aktion in ständiger Zusammenarbeit mit den Zentralen im Innenministerium ist polivalent auf die Suche nach Terroristen und nach Ausländern, die sich irregulär in Frankreich aufhalten, ausgerichtet. Das sind Dinge, die man nicht wie einen Kuchen teilen kann.“ Leoty weiß, wovon er spricht. Terroristen nahm er noch keinen fest, aber am vergangenen Wochenende war er es, der den Ausweisungscharter für 101 Malineser organisieren ließ und die Passagiere an Bord in Ketten legte. „Rückführungen an die Grenze sind nichts Neues. Ich garantiere Ihnen, daß unser Eingriff in der Öffentlichkeit sehr gut aufgenommen wurde.“ Weitere Rechtfertigungen hat er nicht nötig. Der ultra–rechte Innenminister Charles Pasqua steht zu seinen Männern. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat es Pasqua in der Zeit der Attentate in der ersten Septemberhälfte geschafft, seine Gesetze zur Einwanderungs– und Terrorismusbekämpfung durchs Parlament zu bringen. Gesetze sind nur so gut wie ihre Praxis. Nun ist für die Regierung die Zeit gekommen, ihren Wert unter Beweis zu stellen. „Zunächst war die Konzentration auf die Attentate zu groß“, erklärte Mogaiss H. Abdallah vom Informationsbüro Im Media der Immigree–Bewegung die Situation. „Man suchte wirklich nach den Bomben. Selbst der Polizei blieb nicht mehr die Zeit, Terroristen und Ausländer in einen Topf zu schmeißen.“ Die Zeiten haben sich geändert.Die Bewohner des „Heims für ausländische Arbei ter“ in der Pariser Vorstadt Rosny–sous–Bois sind immer noch fassungslos. Sechzig ihrer Mitbewohner wurden hier vergangene Woche für den Mali–Charter von Orly von der Polizei festgenommen. „Wir sind traurig, das ist normal,“ sagt der Müllmann Sako Madi. „Eine Frau mit Kind haben sie hier allein gelassen und den Mann weggeschickt.“ In dem Heim, zwei Betonklötze vor der Autobahn, wohnen noch etwa 300 Malineser. Sie leben isoliert von der Gesellschaft und verrichten ihre Dreckarbeiten. Abends tragen sie stolz ihr heimatliches Gewand, den Ranbu. Reguläre Aufenthaltspapiere haben wohl die meisten nicht, obwohl sie wie Sako Madi seit den siebziger Jahren in Frankreich leben. Am Donnerstagabend wagen sich die Malineser von Rosny dennoch auf die Straße. SOS–Racisme und einige andere Menschenrechts– und Antirassismusorganisationen haben zur Demonstration aufgerufen. Unter der Statue der Republik in Paris fordern 2.000 Menschen den Erhalt der republikanischen Traditionen. „Was ist aus unseren Rechten und unserer Würde geworden?“ fragt eine Banderole. Die Bewegung der Solidaritätsgruppen hat einen Tiefpunkt erreicht. Die Verbindungen zur Administration und die Subventionen haben unter dem Regierungswechsel stark gelitten. Innerhalb von SOS–Racisme ist man zerstritten, ob man die Regierung direkt angreifen solle oder nicht. „Vieles muß wieder neu aufgebaut werden,“ sagt Magaiss H. Abdallah. Inzwischen hat Charles Pasqua eine weitere spektakuläre Ausweisungsanordnung gegeben. Dreizehn algerische Oppositionelle, Anhänger des Ex–FLN– Führers Ben Balla, die sich seit teilweise mehr als zwanzig Jahren in Frankreich aufhalten, sollen des Landes verwiesen werden. Die von Pasqua neu eingerichtete antiterroristische Sektion der Staatsanwaltschaft ließ sie festnehmen, ein Untersuchungsrichter ist so nicht mehr vonnöten. Offenbar stören die Betroffenen die französich–algerischen Verhandlungen in der Terrorismusbekämpfung. So zieht die Regierung derzeit alle Register: Massenkontrollen, Massenausweisungen, politische Ausweisungen. Ihre Aktion ist polivalent, wie gesagt, und legal. Die Pariser Attentate haben nicht nur getötet, sie haben der Regierung den Weg freigebombt.

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