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„Rassismus - Ein Gespenst geht um“

■ In Großbritannien fand die 1. Internationale Konferenz „für eine europäische Anti–Rassismus Bewegung“ statt / Autonomer Widerstand ist gefagt

Aus Birmingham Rolf Paasch

Birmingham, Mittelengland: unlängst gescheiterte Bewerberin um den Olympiade–Austragungsort, vor 14 Monaten Schauplatz schwerer Rassenunruhen. Ein Stadtautobahnnetz zerschneidet die Innenstadt, in der übertriebene Polizeiaktionen damals die „Riots“ provozierten. Hängengeblieben scheint davon im kollektiven weißen Bewußtsein der „Brummies“, wie die Einwohner der Millionenstadt genannt werden, nur das Bild von den rebellierenden Schwarzen. „Kennen Sie den mit dem Rasta, der in einen Laden kommt und...“ Der Taxifahrer liefert mit seiner Salve rassistischer Witze den letzten Beweis für die Notwendigkeit der Veranstaltung. „Rassismus - Ein Gespenst geht um in Europa“, so das Thema einer internationalen Konferenz, veranstaltet von den „Workers against Racism“ (WAR), wie sich das Anhängsel der „Revolutionären Kommunistischen Partei“ (RCP) Großbritanniens fettgedruckt und kampfesbetont nennt. WAR hatte eingeladen und über 1.000 Teilnehmer waren nach Birmingham gekommen: Leute aus dem festen Zirkel der RCP, die sich ihre revolutionären Sporen schon bei der heftig betriebenen „Befreiung Irlands“ verdient haben; Autonome, Neugierige und Aktivisten aus der „Race–Relations“–Szene; dazu Vertreter europäischer Flüchtlings– und Anti– Rassismus–Gruppen, von der französischen „SOS–Racisme“ bis hin zum bundesdeutschen „Aktionskomitee gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“. Auf dem Programm standen gegenseitiger Meinungsaustausch, Strategiediskussionen, die Etablierung eines europäischen Koordinationsausschusses sowie die Verabschiedung eines von WAR abgefaßten Manifests „für eine europäische Anti–Rassismus Bewegung“. Europas Regierungen hatten in den vergangenen Monaten für reichlichen Gesprächsstoff gesorgt: In der Bundesrepublik wurde die „Asylantenflut“ kreiert, in Frankreich die Anti–Araber–Hysterie geschürt und in Großbritannien der Visa–Zwang für bestimmte - schwarze versteht sich - Commonwealth–Besucher eingeführt. Aufhebung des Abschiebestopps in Berlin, Zwangsdeportation von Maliern in Paris und chaotische Szenen bei den Einwanderungskontrollen auf dem Londoner Flughafen Heathrow: Beim Wiederaufbau der „Festung Europa“ sind sich die Innenminister der EG sogar ausnahmsweise einmal einig, wie ihr letztes Treffen in Sachen Terrorismus in London bewies. Wir seien heute Zeugen eines qualitativen Wandels des Rassismus in unseren Gesellschaften, stellte WAR–Vorsitzende Sabena Norton gleich am Anfang ihrer Ansprache fest. „Der Rassismus ist in Europa zum gezielten Instrument der Politik des Establishments geworden.“ Wer schwarze Haut trägt, wird nicht mehr nur am Arbeitsplatz diskriminiert, sondern der alltägliche Rassismus wird immer mehr um den staatlich organisierten Rassismus an den Grenzen ergänzt. „Dieser neue Rassismus“, so der diskutierte Aufruf, „erscheint häufig in der Verkleidung der Kampagne gegen den Terrorismus.“ In dieser Einschätzung war man sich in Birmingham weitgehend einig. Auch die Behauptung einer Teilnehmerin, das politische Establishment habe bei der Bekämpfung des Rassismus bisher völlig versagt, traf auf wenig Einwände. Die europäischen Sozialdemokratien und Gewerkschaften, so sahen es die meisten der Anwesenden, seien vielmehr Teil des Problems. Autonomer Widerstand gegen den Rassismus war also gefragt. Doch wie autonom? Dürfen sich nur die Opfer selbst wehren? „Ihr könnt mit mir, aber nicht für mich gegen den Rassismus kämpfen“, richtete ein schwarzer Diskussionsteilnehmer eine vorsichtige Warnung an die Adresse der Organisatoren. Auch einige der bundesdeutschen Teilnehmer fühlten sich von den WAR–Leuten gegängelt. „Das ist ja hier wie in besten K–Gruppen– Zeiten“, so ein Besucher. Auch Gunnar Schupelius vom Ausländerbereich der Berliner „Alternativen Liste“ waren der „revolutionären Phrasen“ ebenfalls einige zu viele. Andere Konferenzteilnehmer wie Yossi Ben Akiva von der „Bundesweiten Aktionseinheit für ein uneingeschränktes Asylrecht dagegen nahm die 08/15–Analyse von der durch den Rassismus gespaltenen Arbeiterklasse in Kauf: „Wenn jemand gegen den Rassismus aktiv ist, dann ist mir sein Parteibuch egal“, erklärte er. Viel wichtiger als solche Fragen sei die Koordination europaweiter Aktionen, wie die eines Anti–Rassismus–Marsches oder des für den Frühling geplanten Anti– Rassismus–Tages. Außerdem, so Akiva, könne man von den briti schen Gruppen einiges lernen, schließlich seien sie im Kampf gegen den Rassismus erfahrener als die noch recht jungen bundesdeutschen Initiativen. Doch nachdem der auch für die Bundesgrünen auftretende Landesvorstandssprecher der Bremer Grünen, Günther Kahrs,mit viel Mühe und Not in einem nicht immer korrekt übersetzten Beitrag die Initiative von der „Feien Flüchtlingsstadt Bremen“ vorgestellt hatte, ging es wieder zurück zum guten alten K– Gruppen–Stil. Ehe der Aufruf am Ende verabschiedet wurde, sollten alle erst noch schnell Mitglieder von WAR werden. Die Beitrittsformulare lagen bereit. Bedauernswert war nur, daß die dringendten Fragen untergingen, deretwegen eine solche Konferenz mehr als nötig war. Mit welcher Art von Aktionen etwa läßt sich der Popularitätsvorsprung der Rechten in Sachen Asylanten verringern? Und mit welcher Strategie versucht man sich denjenigen zu nähern, die noch bewegt werden müssen, damit die in Birmingham ausgerufene „Bewegung“ kein revolutionärer Papiertiger bleibt? Jedenfalls nicht, indem hinter die Forderungen nach der Öffnung aller Grenzen, den vollen Bürgerrechten für alle Flüchtlinge und Immigranten, nach direkten Aktionen gegen rassistische Gewalt einfach nur ein dickes Ausrufezeichen gesetzt wurde, wie dies in Birmingham geschah.

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