: Demonstration von Einigkeit statt Spaltung
■ „Gewaltfrei oder militant, wichtig ist der Widerstand“, war das zentrale Motto auf der Hanauer Demonstration am Wochenende / Mit Witz und Phantasie gingen Atomkraft–Gegner gegen das Polizei–Bild von den „Chaoten“ vor
Aus Hanau Axel Kintzinger
Eine schwierige Aufgabe hatten sich die Frauen vom „Atomic Circus“ vorgenommen: Sie wollten den versammelten Atomkraftgegnern noch kurz vor Beginn der Kundgebung auf dem Hanauer Blaum–Platz zeigen, wie die gefährliche „Boa Constructor Atomis“ zu bändigen sei. Das großspurige Versprechen entpuppte sich dann allerdings als unerfüllbares Märchen, was durchaus in die „Grimm–Stadt“ Hanau paßte. Die Gebrüder Grimm als die „berühmten Söhne der Stadt“ hatten Hanau zu einer Zeit zur Bekanntheit verholfen, als an Atombomben und -kraftwerke noch nicht zu denken war. Als die Rede an diesem naßkalten Wochenende auf NUKEM, ALKEM und die anderen Nuklearfabriken kam, war es mit den Märchen jedoch vorbei. Über „radikale Inhalte“ sollte sich, so Kundgebungsleiter Dieter Schöffmann vom Bund Unabhängiger Friedensgruppen (BUF), die Demonstration definieren. Und wo Worte nicht alles sagen können, half auch schon mal die symbolische Tat nach. So wurde der Redebeitrag einer Autonomen–Vertreterin mit der Sprengung eines Miniatur–Strommastes, den man eigens dafür auf dem Podium errichtete, eingeleitet. Lacher und Beifall hatten auch diejenigen auf ihrer Seite, die sich eine überdimensionale Zwille auf das Autodach montierten und von dort aus einen vermummten „Chaoten“ - statt Steinen - Flugblätter in die Menge katapultieren ließen. Das erfreute auch die mit Friedenstauben bestückten Demonstranten, die bei einigen Redepassagen merklich zusammenzuckten oder nachdenklich den Kopf schüttelten, wenn da etwa unter dem tosenden Beifall der Kundgebungsmehrheit gegen die „imperialistische BRD“ oder Versuche, die Militanten aus der Bewegung auszugrenzen, gewettert wurde. Es schien, als würde die ganze Radikalität, die sich sonst in Schlachten mit der Polizei und Scherben–Demonstrationen ausdrückt, in Worte gelegt. Viele Transparente deuteten in die gleiche Richtung: „Es gibt viel zu tun, schlagen wir zu“, war da zu lesen oder, ein zentrales Anliegen der Anti–AKW–Bewegung auf den Punkt bringend, „Gewaltfrei oder militant, wichtig ist der Widerstand“. Diese Formel wurde von allen Rednerinnen und Rednern fast beschwörend gebracht. Die Demonstrationsleitung hatte auf Versuche der Polizei, in „vertrauensvoller Zusammenarbeit“ mit ihnen anbändeln zu wollen, schon von vornherein schriftlich erklärt: „Zur Durchführung .. brauchen wir weder Polizeibegleitung noch Polizeiflugblätter gegen sog. aggressive Chaoten. Wir lassen uns von keiner Seite spalten.“ Allerdings, so betonte der Arzt und Historiker Karl– Heinz Roth aus Hamburg (“Ich zähle mich zu den Autonomen“), müsse die Bewegung „tolerant gegeneinander“ sein. Absprachen von einem Bündnis müßten eingehalten werden, auch wenn sie mit dem eigenen Aktionsverständnis kollidierten. Dennoch könne die „gesetzlose Atommafia mit all ihrer Gewalt nur mit Gegengewalt bekämpft werden“. Auch der Salzburger Zukunftsforscher Robert Jungk, dessen Name im Spätsommer durch ein Mißverständnis unter einen Aufruf zur strikten Trennung von den Militanten geraten war und der deshalb zu Beginn auch mit vereinzelten Pfiffen bedacht wurde, sprach sich gegen eine Spaltung der Bewegung aus. Das Mißtrauen gegen ihn legte sich jedoch spätestens dann, als er die Demonstranten unmißverständlich aufforderte: „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Dafür bekam er nicht nur von den Jungen und Vermummten Zuspruch. Ein älterer Mann drückte ihm die Hand und sagte: „Bleiben Sie gesund, Herr Jungk. Wir brauchen Sie.“ Kaputt gemacht wurde an diesem Samstag in Hanau zunächst nur wenig. Lediglich bei einem Verwaltungsgebäude der NUKEM und bei der örtlichen CDU– Geschäftsstelle klirrten einige wenige Scheiben während der Demonstration. Nach Ende der Veranstaltung zogen allerdings ein paar kleinere Gruppen durch die Stadt, die es sich nicht verkneifen konnten, einige Geschäfte zu demolieren. Das traf natürlich die Vorurteile der Bevölkerung. Schon beim Anmarsch der Demonstranten waren Sprüche wie „Zu Hackfleisch sollte man die machen“ zu hören. Das Arbeitsplatzargument sitzt tief bei den Hanauern, mindestens ebenso tief wie bei der Belegschaft der umstrittenen Atom–Firmen. Die begrüßten die Großdemonstration auf ihre Weise: „2.500 Mitarbeiter stehen zu ihrem Arbeitsplatz“, hatten sie auf ein riesiges Transparent geschrieben, das an einem Gebäude hinter dem Demo–Lautsprecherwagen und unerreichbar für die Atomkraftgegner hing.
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