: Hessischer Giftmüll ab sofort heimatlos
■ Verwaltungsgericht Darmstadt erläßt einstweilige Verfügung gegen Sondermülltransporte nach Schönberg/DDR / Joschka Fischer zwischen allen Stühlen und auf der Suche nach Alternativen / Jetzt muß die Chemieindustrie ran
Von Klaus–Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat bereits am Dienstag einer Klage der Hansestadt Lübeck auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen die hessischen Sondermülltransporte nach Schönberg (DDR) stattgegeben. Wie der Lübecker Innensenator Hilgert (SPD) gestern mitteilte, sei das Gericht der Argumentation der Hansestadt gefolgt, wonach die Sickerwässer der nur wenige Kilometer von Lübeck entfernt liegenden DDR–Deponie Grund– und damit Trinkwasserverseuchungen auslösen könnten. Das Gericht habe darüberhinaus fest gestellt, daß Hessen seiner Verpflichtung auf eigenständige Prüfung der DDR–Kippe nicht nachgekommen sei. Die Darmstädter Entscheidung bringt den hessischen Umweltminister Joschka Fischer (die Grünen) in arge Bedrängnis. Das Chemieland Hessen ist nämlich - zumindest mittelfristig - noch auf den Giftmüll–Export angewiesen. Fischers Pressesprecher Georg Dick erklärte denn auch gegenüber der taz, daß jetzt aktuell andere Beseitigungsmöglichkeiten gefunden werden müßten. Die Hessische Industriemüll GmbH (HIM), an der die chemische Industrie zu 60 Prozent beteiligt ist, hat bereits die niedersächsische Deponie Hoheneggelsen ins „Gedankenspiel“ gebracht. Daß es „ausgerechnet Hessen“ getroffen habe, das lediglich mit fünf Prozent am Müllexport der Bundesländer nach Schönberg beteiligt sei, hält Pressesprecher Dick für ein „Politikum“. Fortsetzung auf Seite 2 Dick: „Das paßt genau in die Wahlkampfzeit. Die Rede vom hessischen Müllchaos, das angeblich der grüne Minister verursacht habe, wird jetzt erneut die Runde machen.“ Dick erinnerte an die angestrebte, allerdings nur langfristig greifende „generelle Neuorientierung“ der hessischen Sonderabfallpolitik, die „weg vom Müllkutschertum“ führen soll. Man müsse jetzt klarmachen, daß nicht das Haus Fischer diesen Giftmüll produziere, sondern die Chemieindustrie. Rund 75 hessischen Sondermüllexporte nach Schönberg, so die Landtagsgruppe der Grünen in einer Presseerklärung, entfielen auf Abfallstoffe der Hoechst AG, die gerade erst 5,8 Mrd. DM in den USA investiert habe, ohne sich um ihren hessischen „Dreck“ zu kümmern: „Die hessische Chemieindustrie darf nicht länger die Verantwortung für die Abfallmisere auf den Staat abschieben. Jetzt muß die Chemieindustrie selbst ran.“ Der grüne Landtagsabgeordnete Chris Boppel vertrat die Auffassung, daß „auch das Mittel vorübergehender Produktionsstillegungen“ ins Auge gefaßt werden müsse, wenn eine geordnete Beseitigung im Sinne des Abfallgesetzes nicht mehr möglich sei.
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