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Frankreich: Welle der Privatisierung läuft an

■ Zunächst werden die Aktien des verstaatlichten Glaskonzerns Saint–Gobain verkauft / Aktien sehr billig, damit das ganze kein Flop wird

Aus Paris Georg Blume

Die Aktien sind da - zum Schleuderpreis für jedermann. Wer so schnell nicht zugreifen will, kann warten. Es sind ja genug da, und werden immer mehr. Seit Montag ist es soweit. Das größte staatliche Aktienverkaufsprogramm, das je eine europäische Regierung unternommen hat, ist angelaufen. Die französische Regierung kommt zur Erfüllung ihrer höchsten liberalen Wunschvorstellungen: sie „denationalisiert“. So sagt man in Frankreich, wenn der Staat seine ehemals „nationalisierten“, d.h. durch Aktienkauf erstandenen Unternehmen wieder verkaufen will. Premierminister Jacques Chirac und sein Finanz– und Wirtschaftsminister Edouard Balladur wollen noch viel verkaufen, weshalb sie die Kunden seit Beginn dieser Woche mit einem Leckerbissen locken. Als erstes der von der Linken in den Jahren 1981/82 nationalisierten Großunternehmen steht nun der Welt zweitgrößter Glasproduzent, der Gemischtkonzern Saint–Gobain zum Verkauf feil. 97,– DM kostet eine Aktie, und alle Welt hält den Preis für sehr niedrig - man kann es sich also überlegen. Nicht ohne Grund ist die Aktie billig. So lieb der Regierung das Geld ist - da sie den Privatisierungsgedanken nicht nur in der Wirtschaftspolitik zum ideologi schen Grundprinzip forcieren will, kann sie sich einen Reinfall nicht leisten. Der schlimmste Reinfall aber wäre, wenn sich für das Angebot keine Käufer finden ließen. So abwegig ist der Gedanke gar nicht. Das Privatisierungsprogramm soll in den nächsten fünf Jahren Unternehmen im Wert von insgesamt knapp 70 Milliarden DM umfassen - Saint– Gobain mit vier Milliarden DM ist da nur ein bescheidener Anfang. Der französische Aktienmarkt aber wiegt insgesamt lediglich ca. 330 Milliarden DM. Zugleich beschränkt das im August verabschiedete Privatisierungsgesetz die Aufkäufe aus dem Ausland auf 20 sehen so bereits heute den französischen Finanzmarkt langfristig überfordert. Auf dieser Annahme baute auch die Kritik von Staatspräsident Mitterrand am Gesetzesvorschlag, der die Privatisierungen auf kurz oder lang - zum Beispiel bei einem späteren Wiederverkauf der Aktien - als einen französischen Ausverkauf an das US–Großkapital betrachtet, der „die Unabhängigkeit der Nation gefährdet“. Doch soweit will man derzeit nicht denken. Die Saint–Gobain– Aktien, so hofft die Regierung heute, werden in Frankreich weggehen wie warme Semmeln. In der Tat gibt Saint–Gobain ein gutes Bild, so gut wie lange nicht mehr. 1982 mit einem Jahresverlust von 250 Millionen DM von der Linksregierung übernommen wird das Unternehmen dieses Jahr einen Gewinn von über 400 Millionen DM erwirtschaften. Die Restrukturalisierungsmaßnahmen der Sozialisten haben unter dem Druck der roten Zahlen, der die sozialen Ansprüche verkommen ließ, bei Saint–Gobain wie bei den meisten anderen staatlichen Großbetrieben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Privatisierung erscheint damit heute als logische Folge der Nationalisierung. Das Angebot Saint–Gobain ist also attraktiv - so attraktiv, denken Chirac und Balladur, daß man sogar den kleinen Mann zum Aktienkauf bewegen kann. Werbeposter schmücken nun alle Banken, Sparkassen und Postämter. Das Fernsehen gar machte für Saint–Gobain–Reklame. Die Gaullisten an der Regierung träumen ihren alten Traum einer breiten populären Vermögensbeteiligung. Nur ob der kleine Mann will, weiß keiner. Man verkaufe ja die Aktien, die dem Staat und damit eigentlich dem Bürger schon gehören, sagen die Kommunisten und proklamieren den Betrug. Sie klagen zu recht, weswegen auch immer, wird doch mit dem Privatisierungsprogramm das letzte große utopische Manifest der französischen Linken, das Regierungsprogramm von 1972, dessen Kern die Nationalisierungen bildeten, wenn auch nur symbolisch ein Stück weiter zerstört.

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