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Marxistische Literatur unter dem Hammer

■ Wie das Londoner Auktionshaus Sothebys vergeblich versuchte, Originalausgaben des „Kapital“ und der „Isvestija“ zu versteigern / Auch Engels erwies sich als schwer verkäuflich / Zum ersten, zum Zweiten... Marx, Nein Danke

Aus London Rolf Paasch

„Sothebys verkauft wieder marxistische Literatur“, stand auf der Einladungsschrift des berühmten Londoner Auktionshauses für die Liebhaber antiquarischer Bücher. Und während im hinteren Auktionsraum an der New Bond Street die Versteigerung „europäischer Druckwerke und Handschriften“ begann, fuhr am Haupteingang der standesgemäße Roll Royce vor, frisch gewienert, Baujahr 1952. „100 Pfund, 200, 200 zum Ersten, 300, 350...“ Auktionator Ray Davids leiert die Pfunde herunter wie eine tibetanische Gebetsmühle. Alles verläuft nach Plan. Der aufgeregte Privatkäufer mit der Glatze in der dritten Reihe sinkt glücklich in sich zusammen, nachdem er mit einem 320 Pfund teuren Kraftakt gerade La Fontaines „Liebesabenteuer von Psyche und Cupid“ erstanden hat. Und ein Telephonkunde läßt sich die italienische „Chronik des Don Alvaro“ 11.000 Pfund kosten. Geboten wird mit diskreten Handbewegungen; ein unvorsichtiges Kratzen am Kopf und schon ist der unbedarfte Beobachter mit Tausenden von Pfunden im Geschäft. Bei der „Biblia Pauperum“ steigen dann die Großdealer ein. 80.000, 100.000, ganz cool, ohne mit der Wimper zu zucken. Jeder kennt hier jeden. Für solche, die wegen eines speziellen Liebhaberstücks gekommen sind, ist es so „exciting“ wie im Spielcasino oder beim Pferderennen. Für die anderen ist es ein ganz gewöhnlicher Tag im Agentenleben eines hochspezialisierten Buchhändlers. Sothebys, der Welt größtes Versteigerungshaus bedeutet nämlich „Big Business“. Der Jahres–Umsatz von über 500 Mio. Pfund entspricht dem Haushalt so manchen Entwicklungslandes. Rund 60 Verkaufstellen in 24 Ländern bringen jährlich 250.000 Sammlerstücke unter den Hammer. Doch seitdem der amerikanische Geschäftsmann und Kunstpatron Alfred Taubmann vor drei Jahren die „public company“ aufkaufte und in ein Privatunternehmen zurückverwandelte, sind nur noch die Boni für die rund 1.200 Beschäftigten ein Gradmesser für die mit Sicherheit stattlichen Profite des Auktionshauses. Früher waren es in erster Linie antiquari sche Bücher, in diesem Jahrhundert sind es mehr und mehr Kunstgegenstände, der sogenannten „fine art“, geworden, die Millionenbeträge einbringen. Vor drei Jahren erzielte das Evangelium Heinrichs des Löwen aus dem 12. Jahrhundert den Rekordpreis von 8.1 Millionen Pfund. Das 1744 gegründete Auktionshaus versteigert heutzutage von der Briefmarkensammlung bis zu Landhäusern, vom Spielzeug bis hin zu Memorabilien der Rock n Roll–Zeit so ziemlich alles, wofür es einen Markt gibt. Letzteres trifft für marxistische Literatur allerdings offensichlich nicht mehr zu. 1.000. 1.100, zum Ersten, zum Zweiten... Plötzlich schrauben sich die Summen nur noch mühsam in die Höhe. „Los 223“, ein Exemplar der zweiten Auflage von Engels „Lage der arbeitenden Klasse in England „ ist an der Reihe. „Der Preis hängt immer davon ab, wie sehr verschiedene Kaufwillige den Gegenstand haben wollen“, hatte mir vorher die Pressedame erklärt. Doch an dem „epochemachenden Werk der deskriptiven Nationalökonomie“ (Werner Sombart) schien an diesem Donnerstag morgen lediglich ein gewisser Professor Arnold Herrtje aus Amersterdam interessiert. Nachdem er das mit einer handschriftlichen Widmung an Jenny Marx versehene Exemplar für läppische 1.600 Pfund (Schätzpreis 2.500 Pfund) ersteigert hatte, freute sich der freundliche Volkswirtschaftslehrer (“ich zähle mich zu keiner Schule“) wie ein Schneekönig. Jennys Kopie des Engels–Werkes, so versprach er der taz, werde in seiner Bibliothek einen würdigen Platz finden. Bei Sothebys konnte man das große Medieninteresse an den marxistischen Büchern nicht verstehen. „Sind sie denn gar nicht an dem sensationell hohen Verkaufspreis der Bibel interessiert“, verzweifelt die Pressedame. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Das angebotene Exemplar der ersten russischen Ausgabe von Marx „Kapital“, das im Jahre 1872 noch un ter zaristischer Herrschaft in Russland veröffentlicht wurde, erzielte nur etwa die Hälfte des Schätzpreises und wurde von Sothebys wieder von der Versteigerung zurückgezogen. Selig die Zeiten als Kalle 1888 nach dem Ausverkauf der ersten Auflage noch an einen Freund schreiben konnte, sein Hauptwerk werde in Russland „noch mehr gelesen und geschätzt als anderswo.“ Stattdessen wollte in London das Gerücht nicht verstummen, es sei Michael Gorbatschow gewesen, der hier durch Sothebys seine persönliche Kapital–Kopie verhökern wollte, um Raissa eine neue Pelzmütze zu finanzieren. Aber auch dem angebotenen Werk Lenins und den neun Originalausgaben einer unabhängigen „Isvestija“ vom Februar 1917 sollte keine würdigeres Schicksal beschieden sein. Auch die von einem unabhängigen Journalistenkollektiv herausgegebene „Isvestija“, eine Art „russische taz“ von 1917, wanderte mangels Nachfrage wieder in den Besitzstand des Anbieters zurück. Die auf der Titelseite der Revolutionsausgabe vom 27. Februar 1917 beschriebene Besetzung des Stadtrats durch revolutionäre Truppen interessierte die britischen und überseeischen Anleger offensichtlich weitaus weniger, als die gleichzeitig angebotenen Aktien der von Frau Thatcher privatisierten Gasindustrie. Bleibt für Karl Marx auf dem Friedhof von Highgate nur noch ein Trost: Immerhin profitiert Sothebys bei seinen nicht–marxistischen Versteigerungen vom Untergang der britischen Upper Class, die immer mehr Gemälde und Schlösser zum nackten Überleben verhökern lassen muß.

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