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Mit Hans–Jochen Vogel auf dem Abstellgleis

■ Der SPD–Fraktionsdvorsitzende Vogel war mit dem Wahlkampfsonderzug seiner Partei auf Deutschlandtour / Frieden, Arbeit, Gerechtigkeit und Natur - Vogels Reisethemen / Unsere Korrespondentin vermißte high–life im Sonderzug

Von Tina Stadlmayer

Ein Salonwagen, ein Speisewagen und zwei Schlafwagen für die Journalisten: der Wahlkampf– Sonderzug, mit dem der SPD– Vorstand zur Zeit kreuz und quer durch die Republik rattert. Willy Brandt, Johannes Rau und Hans– Jochen Vogel, jeder hat drei solcher Gewalttouren zu absolvieren. Wahlkampfreden und Gespräche mit Genossen in acht verschiedenen Städten standen letztes Wochenende bei Vogel auf dem Programm. Also, raus aus dem Wahlkampfzug, rein in die Mehrzweckhalle... „Das geht hier alles viel zu langsam!“ war eine der ständigen Sprüche, mit denen Pressesprecher Alwin Steinke die Journalisten immer wieder antreiben mußte. Erste Station Ludwigsburg–Ossweil: Die Begrüßung auf dem Bahnsteig fällt etwas mager aus. Keine Blasmusik, kein roter Teppich. Dafür empfangen die Ludwigsburger Hans–Jochen Vogel beim Einzug in die Mehrzweckhalle mit begeistertem Applaus. Im Gefolge 13 Journalisten und eine Journalistin, die bald darauf verzweifelt im Redemanuskript blättern: Vogel hält sich mal wieder überhaupt nicht daran, sondern improvisiert drauflos. So können wir dann auch einen entsetzten Genossen beruhigen, der meint: „Wenn der seine Rede schon vorher verteilt, dann braucht man doch gar nicht mehr zu kommen.“ Vier Punkte aus dem SPD– Wahlkampfprogramm sind es, die Vogel seinen Zuhörern ans Herz legt: Frieden, Arbeit, Gerechtigkeit und Natur. Den fünften Punkt aus den von Peter Glotz vorgegebenen „inhaltlichen Schwerpunkten für die Endphase des Wahl kampfes“, die Alternative zwischen Kohl und Rau, läßt Vogel unter den Tisch fallen. Dafür läuft er beim Thema Goebbels–Gorbatschow–Zitat zu kabarettistischer Höchstform auf: „Bevor der Herr Kohl mit seinen Goebbels–Ver gleichen ins Ausland geht, sollte er sich erstmal im Adenauer–Haus umschauen.“ „Wenn Herr Kohl schon nach Zeitgenossen sucht, die er ausgerechnet mit Goebbels vergleichen will, dann soll er sich mal in seiner näheren Umgebung im Adenauer–Haus ein bißchen umsehen. Ich bin nicht dafür, daß Leute mit Goebbels verglichen werden; aber wenn der Bundes kanzler schon diesem Drang nicht widerstehen kann, dann soll er sich dafür nicht ausländische Staatsmänner aussuchen. Wenn er sich durch solche Redensarten international gesprächsunfähig macht, dann ist das nicht tolpat schig, dann ist das verantwortungslos.“ Beim Thema „Verkauf von U– Boot–Plänen nach Südafrika“ wird er dann richtig zynisch: „Keiner weiß was davon; doch einer weiß was davon, das ist der Franz–Josef. Der Mann hat wenigstens den Vorzug, daß er deutlich und klar spricht: Der Bundeskanzler habe positiv reagiert... Freunde, die wissen nicht, was sie tun.“ Auch Themen wie die Regierungskrise in Amerika baut Vogel in seine Rede ein: „Die letzten Bastionen des Herrn Reagan liegen nicht in Californien, sondern in Oggersheim und München.“ Als er von den Fehlern der Gewerkschaften in Sachen Neue Heimat spricht, wird es leise im Saal: „Ich habe kein Verständnis dafür, daß sich der Gewerkschafts–Manager Lappas ein Jahresgehalt von 750.000 Mark zahlt.“ Am Schluß seiner Rede schlägt er den Bogen von den Chemieunfällen zur Atomenergie: „Wir wollen nicht mit diesem Risiko leben. Unfehlbar ist nur der Herrgott.“ Diese Stelle kommt übrigens bei jeder Station gegen Schluß der Rede vor. In Donauwörth gerät er dann ins Schwimmen: „Unfehlbar kann sich vielleicht, nein sogar sicher, der Herrgott nennen...“ In Plochingen kommt es dann durch einen Zwischenrufer fast zum Eklat. Vogel: „Bei uns in Bayern sagt man, daß eine Veranstaltung nur dann erfolgreich ist, wenn mindestens ein Rauschiger dabei ist. Jetzt sinds mal a bißl still, jetzt red i wieder.“ Was Vogel offenbar nicht weiß: Der Zwischenrufer ist ein erzkonservativer Stadtrat, aber völlig nüchtern. Nach der Veranstaltung versucht ein Gast Hans–Jochen Vogel ein Gespräch über das Ehescheidungsgesetz aufzudrängen. Er ist sichtlich verwirrt, vielleicht auch betrunken, - die Ordner schieben ihn langsam von dem SPD–Promi weg und Hans–Jochen Vogel verdrückt sich ins Nebenzimmer. Abendessen mit Genossen und Presse steht dort auf dem Programm. Nach 60 Minuten geht es wieder zum Zug. Die nächste Station heißt Dillingen und liegt bereits im Freistaat Bayern. Der Zug fährt aufs Abstellgleis. „Nachtstillager“ steht - wohl um den zweideutigen Begriff zu vermeiden - auf dem Zettel mit der Terminplanung. Ich bin gespannt. Habe ich doch schon einiges von übermäßigen Besäufnissen in Wahlkampfzügen gehört. Ein Kollege soll sogar mal gnadenlos alles in seiner Zeitung geschrieben haben, was Willy Brandt da so erzählt haben soll. Nichts dergleichen passiert. Hans–Jochen Vogel verzieht sich bereits um ein Uhr in seine Schlafkoje im Salonwagen. Die Kollegen spielen Skat und schwärmen von alten Tagen, als der Guillaume noch für jeden eine Dame für die Nacht bereithielt. Und dann war da noch die nette Geschichte, mit der Bruns.... Am nächsten Morgen steht in aller Frühe das Gespräch mit den Dillinger Kommunalpolitikern an. Der örtliche Juso nutzt die Gelegenheit und holt sich bei Vogel Rückenstärkung in Sachen Atomausstieg und Müllvermeidungen. „Das ist ganz schrecklich“, erklärt er mir, „die Altgenossen haben immer noch nichts kapiert... Außerdem sind wir hier ja in der sozialdemokratischen Diaspora. Wenn ich mit Flugblättern auf einen Bauernhof komme, da ist es nicht selten, daß mir die Leute den Hund nachjagen.“

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