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Datenzentrale im Abstellkeller

■ Der Bremer Physiker Dr. Klaus Bätjer koordiniert alternative Meßarbeiten / Alle neun Jahre eine Kernschmelze

Ganz so improvisiert und bescheiden hatte ich sie mir nicht vorgestellt, die „Informations– und Koordinationsstelle zu Fragen der Radioaktivität“. Immerhin werden hier Tausende von Becquerel–Werten aus aller Welt zentral erfaßt, vor allem jedoch die Meßergebnisse der unabhängigen bundesdeutschen Meßprojekte zusammengetragen. Der „Betreiber“, der erwerbslose Physikprofessor Klaus Bätjer leitet mich durch das Souterrain eines Alt–Bremer Hauses im „Szene“–Viertel Steintor. Vorbei an Schuhregalen und Katzenklo. Das Haus gehört einem befreundeten Hochschullehrer. Die Hälfte eines Kellerraumes hat Bätjer zum Büro umgewidmet. Ein Schreibtisch mit zwei Telefonen, zwei Regale voller Aktenordner und Karteikästen, an der Wand ein Plakat mit den bundesdeutschen AKW–Standorten. Diese Ausstattung geht bruchlos über zu einem ausrangierten Elektroherd, einer Korbtruhe und einem schnittigen Rennrad. „Kein Computer?“ frage ich etwas enttäuscht. Nein, mit der Dateneingabe habe er nichts zu tun. Hierfür sei jemand zweites zuständig, der finanziell anderweitig abgesichert sei. Bätjer selbst hat neun Jahre im Schwerpunkt Umweltschutz / Radioaktivität an der Bremer Universität gearbeitet, davon 6 Jahre als Assistenzprofessor. Der Vertrag des Kernkraftgegners wurde 1982 nicht mehr verlängert und er stand mit seiner Hochschullehrer–Qualifikation auf der Straße. Er hält sich seither mit diversen Gutachtertätigkeiten über Wasser und betont, daß er bis heute berechtigt sei, den Professorentitel zu führen. Das Reaktorunglück von Tschernobyl nennt er „ein einzigartiges Ereignis - wie Christi Geburt“. Es habe die Erde, was Radioaktivität anbelange, um Jahrmillionen zurückversetzt. Solche provokatorischen Vergleiche sind typisch für den Einzelgänger und Querdenker Bätjer. Nach dem 27. April war er zwei Monate lang ständig im gesamten Bundesgebiet unterwegs, um Vorträge und Podiumsdiskussionen zu bestreiten. Er beteiligte sich an den Treffen der „Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute“ (AGöF). Es wurde jemand gesucht, um die Meßarbeiten zu koordinieren und für die Arbeit der AGöF Gelder zu acquirieren. Bätjer erklärte sich bereit. Beim Bremer Arbeitsamt wurde eine ABM–Stelle beantragt. Die AGöF, der Ökofonds der Grünen und einige Spender/innen brachten 5.500 Mark auf, um die ersten Arbeitsmonate vorzufinanzieren. Die laufenden Kosten sind damit nicht gedeckt. Bätjer war bereits einmal nahe daran, den Job hinzuschmeißen. Das Salär teilte er sich mit seiner Freundin. Sie erledige die Büroarbeiten und mache regelmäßig täglich von 9 bis 13 Uhr Telefondienst. Er selbst schaue jeden Tag höchstens 1–2 Stunden in dem „Büro“ vorbei. Ansonsten sei er damit befaßt, Literatur und Daten aus allen Ecken der Welt zu besorgen sowie alle möglichen Leute und Institutionen um Gelder anzuschreiben. Etliche der neugegründeten Meßstellen würden „aus dem letzten Loch pfeifen“. Junge, kritische Physiker lebten von der Hand in den Mund. „Fast alle, die wir ausgebildet haben, konnten nicht gehalten werden.“ Ein weiteres Arbeitsfeld sieht Bätjer in der Beratung von Leuten, die versuchten, so wenig Radioaktivität aufzunehmen wie möglich. „Das finde ich wichtig“, betonte er. Er gehe davon aus, daß in Tschernobyl die 4–25fache Menge an Radioaktivität freigesetzt worden sei, im Vergleich zu sämtlichen rund 400 bisherigen oberirdischen Kernwaffenversuchen. In den USA ginge sogar die dortige Reaktorsicherheitskommission davon aus, daß im Durchschnitt alle neun Jahre mit einer Kernschmelze zu rechnen sei. Er zeigt mir neuere US–Studien mit makaberen, erschreckenden Titeln wie: „Auswirkungen eines atomaren Krieges auf die Gesundheit“. Ohne derartige Studien habe man die Auswirkungen von Tschernobyl nicht so rasch berechnen können, meinte er achselzuckend. Doch alle gesundheitlichen Folgen, die unter einer bestimmten Rem–Grenze lägen, unterhalb der Ebene von massivem Haarausfall und Hautbluten, seien bisher viel zu wenig untersucht worden. Er sammle Hinweise aus der Bevölkerung auf die radioaktive Niedrigstrahlung und ihre möglichen Auswirkungen. Leider trauten sich die meisten Leute nicht, ihre oftmals ungewöhnlichen Beobachtungen mitzuteilen, „weil sie das nicht für wissenschaftlich halten“. Bisher gebe es Hinweise auf Schleimhautreizungen im Genitalbereich (Mai 86), auf Brandgeruch im Wald (Mai 86), oder auf Häufungen von Fehlgeburten, die ähnlich wie bei dem Fallout 1973/74 auf Herzmißbildungen bei Embryonen zurückzuführen seien. In der „Informations– und Koordinationsstelle“ sind bisher mehr als 20.000 Meßdaten aus aller Welt zusammengekommen. „Für diese Datenmenge sind wir viel zu wenig Leute“, damit könne offiziellen Stellen keine Konkurrenz gemacht werden. Eine zweite Datenübersicht ist gerade erschienen. Auf 14 Seiten sind mehrere hundert Cäsium–Werte aus dem bundesdeutschen November aufgelistet, von Auberginen bis Wiesenchampignons, vom Bayerischen Wald bis Osnabrück. Der Computer kann die Werte nach Datum, nach Art der Proben, nach Herkunftsregionen der Proben, nach der jeweiligen Meßstelle oder nach bestimmten Meßgrößen sortieren und in Zusammenhang bringen. Beigefügt sind „becquerel–arme“ Speisepläne, vom Münchner Umweltinstitut ausgearbeitet. Über zwanzig Meßprojekte sind beteiligt. An 1.000 Adressen wird der Datenservice verschickt. Im Moment konzentriert sich Bätjer auf das Acquirieren von Drittmitteln. Er hat gerade Bettelbriefe an eine Reihe von Bundes– und Länderministerien losgeschickt. Im Gegensatz zu anderen habe er da keine Berührungsängste. Dazu bedürfe es eben eines gewissen Auftretens, Alters, Titels und einer gewissen Reife, Weisheit und Vernarrtheit. Barbara Debus Spenden für die „Informations– und Koordinationsstelle“ auf das Konto Nr.: 11298–202, Postgiroamt Hamburg, (Stichwort: AGöF, Radioaktivität, Bremen). „Informations– und Koordinationsstelle zu Fragen der Radioaktivität“, Horner Straße 28, 2800 Bremen 1, 0421 / 76053

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