piwik no script img

Schwierige innenpolitische Phase für ANC

■ 25 Jahre nach Beginn des bewaffneten Widerstandes hat der ANC Mühe, seine Aufstandsstrategie auf die reale Entwicklung in Südafrika abzustimmen / Für die Zeit danach wird aber schon konkret geplant

Vor 25 Jahren, als sich der ANC erstmals entschloß, den bewaffneten Kampf gegen die Apartheid aufzunehmen, setzte die Organisation damit ein Zeichen für die qualitative Veränderung im Widerstand. Heute fällt es dem ANC anscheinend zunehmend schwerer, eine klare Aufstandsstrategie innerhalb der verschiedenen Oppositionsgruppen durchzusetzen. Vor allem die Jugendlichen aus den Ghettos agieren bereits häufig auf eigene Faust und sind von der ins Ausland verbannten ANC–Führung angesichts der schwierien Kommunikationsstrukturen kaum zu kontrollieren.

Wenn P.W. Botha eine neue Runde der Repressionen rechtfertigen will, trägt er immer dieselbe Standardentschuldigung vor: „Südafrika kämpft gegen einen vielseitigen und gut koordinierten revolutionären Anschlag.“ Als vor sechs Monaten der Ausnahmezustand verhängt wurde, legte Botha zur Rechtfertigung angeblich geheime Dokumente vor, die beweisen sollten, daß eine von Kommunisten geführte, landesweite Terrorkampagne für den 10. Jahrestag der Soweto–Aufstände geplant war. Und nach der Verhängung der drakonischen Pressezensur letzte Woche war Bothas strenges Vatergesicht, umweht von der südafrikanischen Fahne, am Freitagabend wieder auf den Bildschirmen der Nation zu sehen. Diesmal produzierte er Dokumente, um zu belegen, daß der ANC für den heutigen 25. Jahrestag des bewaffneten Kampfes und für den 75. Jahrestag des ANC 1987 weitere Terroranschläge geplant hatte. Bothas Dokumente, die auch der Presse zur Verfügung gestellt wurden, sind sicher mit Vorsicht zu genießen. Immerhin handelt es sich um von Pretoria ausgewählte Auszüge, nicht um Kopien der Originaldokumente. Dennoch - die Dokumente zeigen nicht etwa die bösen Komplotte des ANC, sondern eine überraschend offene Einschätzung der Erfolge und Probleme der ANC–Strategie. Speer deer Nation 1986 wurde vom ANC zum „Jahr von Umkhonto we Sizwe“ erklärt. Damit sollte nicht nur dem 25jährigen Bestehen des „Speers der Nation“, der im Volksmund als „MK“ bekannten Guerillaarmee, gedacht werden. Der ANC hatte sich für 1986 auch konkrete strategische Ziele gesetzt. Doch, wie Oliver Tambo in den Botha– Dokumenten zitiert wird: „Wir haben diese Ziele nicht annäherungsweise erreicht.“ Eines der Ziele war die Einbindung der weitverbreiteten, unabhängigen, militanten Jugendgruppen in die MK– Strukturen. Am 16. Dezember 1961, 20 Monate nach dem Verbot des ANC, hatte MK mit wenigen Kämpfern und selbstgemachtem Sprengstoff eine Sabotagekampagne begonnen. Doch nach nur drei Jahren war die gesamte Untergrundstruktur aufgeflogen. Die wichtigsten Führer, darunter Nelson Mandela, wurden ins Gefängnis gesteckt. Im Exil mußte ein mühsamer Wiederaufbau begon nen werden. Erst als Tausende von jungen Rekruten nach den Soweto–Aufständen 1976 zum ANC kamen, konnten wieder Kämpfer in größeren Mengen nach Südafrika geschmuggeltt werden. Seitdem hat der Apartheid–Staat Riesensummen für die Bewachung langer Grenzen und zahlreicher strategischer Einrichtungen spendieren müssen. Doch vor allem war dies die Phase der „bewaffneten Propaganda“. Durch Sabotageakte, bei denen darauf geachtet wurde, daß keine Zivilisten verletzt wurden, sollte das Potential der ANC–Sympathisanten in der Bevölkerung mobilisiert werden. Es ist schwer zu sagen, ob diese „bewaffnete Propaganda“ tatsächlich eine Rolle in der offensichtlichen Mobilisierung der schwarzen Bevölkerung im Widerstand gegen die Apartheid gespielt hat. Wenn ja, dann war sie fast zu erfolgreich. Während der ANC erst seit 1983 versucht, von „bewaffneter Propaganda“ zum „Volkskrieg“, zur Bildung von „Kampfeinheiten der Massen“ überzugehen, wächst die Ungeduld unter militanten Jugendlichen im ganzen Land. Nicht nur nach den blutigen Straßenkämpfen in Soweto im August war unter militanten Aktivisten die Frage zu hören: „Wo war MK? Wo sind die Waffen?“ Angeblich gibt es in diesen Kreisen mehr Waffen, die sie von Polizisten, Soldaten und Weißen im allgemeinen gestohlen haben, als ihnen vom ANC geliefert wurden. Der ANC befürchtet, von solchen Gruppen überholt zu werden und dadurch die Initiative und damit die politische Kontrolle zu verlieren. Dazu Tambo: „Wir können es uns nicht leisten, weit hinter den Forderungen und Erwartungen des Volkes hinterherzuhinken. Wir müssen dafür sorgen, daß der bewaffnete Kampf in der Praxis die Stellung einimmt, die wir in Strategie und Taktik vorgesehen haben.“ Neue Strategie Problematisch in dieser Hinsicht ist vor allem die schwierige Kommunikation zwischen ANC– Kämpfern im Lande und dem Führungsstab im Exil. Politische Ausbildung der Kämpfer kann viele Fehler zu vermeiden versuchen. Dennoch haben zunehmende Angriffe auf Zivilisten durch unabhängig agierende Guerillakämpfer dem ANC politische Schwierigkeiten gebracht. Andererseits kritisieren militante Apartheid– Gegner oft die Tatsache, daß auf neue Repressionen Pretorias nur selten direkt mit ANC–Angriffen geantwortet wird. Eine solche Koordination ist umso schwieriger, seit ANC–Büros in Südafrikas Nachbarländern fast unmöglich geworden sind. „Der Feind hat auf unsere Kosten an Boden gewonnen,“ sagt Tambo dazu. „Wir sind gezwungen worden, viele Leute zurückzuziehen, Maschinen abzubauen und unsere Pläne und Programme neu zu überarbeiten.“ Aus diesen Erfahrungen resultiert die in letzter Zeit verfolgte Strategie des ANC, die Zusammenarbeit mit Untergrundorganisationen auf politischer und militärischer Ebene zu verstärken. Durch gut koordinierte Streiks, Unruhen und gezielte militärische Angriffe kann, so die ANC–Strategen, die politische Krise verstärkt und das Apartheid–Regime zur Aufgabe gezwungen werden. Hans Brandt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen