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Demo zwischen Idylle und Straßenschlacht

■ In Hamburg demonstrierten am Sonnabend 12.000 Menschen friedlich für den Erhalt der Hafenstraße / Nach Kesselbildung heftige Straßenschlacht und Rückzug der Polizei / Danach wurde friedlich weiter demonstriert

Aus Hamburg Tom Janssen

Ein plötzlich auffliegender Schwarm Tauben kündigte vor Hamburgs Strafjustizgebäude und dem angegliederten Untersuchungsgefängnis Unheil an. Mitten in die Rede zur Situation politischer Gefangener erscholl der Ruf „Sie kommen, sie kommen!“ Danach überstürzten sich die Ereignisse. Knüppelnde Beamte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) versuchten, den Lautsprecherwagen des autonomen Blocks zu stürmen und wurden zurückgeschlagen. Andere Polizeibeamte hielten sich dafür an ungeschützten Demonstranten schadlos. Zitternd und bleich, aber eisern, stand Hamburgs bekannte GALierin, Thea Bock, zwischen einer die Knüppel schon erhobenen Polizeikette und den zur Gegenwehr entschlossenen Demonstranten und versuchte, zu vermitteln. Die Polizisten hielten sich hier zurück. Dafür wurden in andere Teile des Demonstrationszuges Keile getrieben, geprügelt und die Demonstration mit Polizeispalieren eingekesselt. Viele Demonstranten wollten es einfach nicht glauben. Anderthalb Stunden lang hatte sich der riesige Demonstrationszug durch die weihnachtsgeschmückte Innenstadt gewälzt. Diszipliniert vor allem der vielgefürchtete „Schwarze Block“, auf den sich die öffentlich geschürte Hysterie in den Tagen vor der Demonstration konzentrierte. Martialisch auftretend legten sie mit den Rufen „Feuer und Flamme für diesen Staat“ immer wieder revolutio näre Zwischensprints ein, doch Passanten und Demonstranten kommentierten das eher amüsiert. „Besser, die laufen sich warm, als daß sie sich warm schmeißen“, kommentierte jemand aus der Demonstrationsleitung. Die Parolen für eine andere Hamburger Sanierungspolitik und für den Erhalt des umstrittenen Projektes Hafenstraße überwogen bei weitem. Nach anfänglicher Panik sam melte sich die Demonstration überraschend schnell. Unausgesprochen war allen 12.000 klar, daß sie provoziert werden sollten, daß das fragile Bündnis zum Erhalt der Hafenstraße - von den Jusos über die GAL bis hin zu den Autonomen - mit dem Polizeiknüppel gespalten werden sollte. Selbst die Jusos begannen, Ketten zu bilden, versuchten, die Polizei abzudrängen. Immer wieder er scholl der Ruf: „Wir lassen uns nicht einkesseln, Pawelczyk (Hamburger Innensenator), zieh Deine Kesselhunde zurück!“ Ausgerechnet am neuralgischen Punkt des Heiligengeistfeldes, wo sich die Hamburger Polizei mit der 15–stündigen Einkesselung von 800 Demonstranten am 8. Juni bundesweiten traurigen Ruf erwarb, wurden die Polizeispaliere, Teileinkesselungen und die damit verbundenen Schlagstockorgien immer drängender und heftiger. „Kein neuer Kessel“ erscholl es vieltausendfach und immer trotziger. Die Polizei reagierte mit einer Mischung aus Konzeptionslosigkeit und Brutalität. Als sie schließlich versuchte, einen Teil der Demonstranten abzuschneiden und endgültig einzukesseln, kam die heftige Gegenwehr. Ein Stein– und Erdhagel empfing die anstürmenden Beamten, aus den Fenstern und Balkonen des „alternativen“ Karolinenviertels wurden die Beamten von oben beworfen. Immer wieder mahnte die Demonstrationsleitung zur Ruhe und Besonnenheit, während sich am Rande groteske Szenen abspielten. Polizisten bemühten sich um einen schwer verletzten Kollegen, dem ein Stein ins offene Visier geschleudert wurde. Gleichzeitig zog sich vor der Polizeikette ein etwa 15jähriger schwer Betrunkener demonstrativ aus und wurde von johlenden Pressefotografen umlagert. Während die Polizei mehr und mehr die Übersicht verlor und sich zurückzog, um mit Verstärkung wieder anzugreifen, formierten sich auch die Demonstranten immer entschlossener. Schließlich, gegen 14.30 Uhr, waren nach hektischen Verhandlungen mit der Polizeiführung und Innensenator Pawelczyk die politischen Würfel gefallen: Die Polizei gab die Spaliere auf und zog sich zurück. Mit Freudengeschrei wurde der abgeschnittene Teil der Demonstration empfangen. Doch die Siegesgefühle schwappten nicht über, schlagartig beruhigte sich nach Abzug der Polizei die Atmosphäre der Gewalt. Ruhig und ohne weitere Zwischenfälle zog die Demonstration durch die engen und verwinkelten Straßen von St. Pauli in Sichtweite der von Räumung bedrohten Häuser in der Hafenstraße. Der ehemalige GAL–Bürgerschaftsabgeordnete Ugo Hergenröder zog das Resümee: „Wir haben gezeigt, daß ein breites Bündnis dem Senat und den Stadtplanern zeigen kann, daß in dieser Stadt auch Minderheiten ein Recht zum Leben haben. Diesen Erfolg müssen wir nun politisch ausbauen.“ Eine Bewohnerin der Hafenstraße verabschiedete die Demonstranten mit einem fröhlichen „Und dann feiert mal schön, im neuen Jahr gehts weiter“.

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