piwik no script img

Grüner Wahlkampf in der bayrischen Provinz

■ Gegen Obrigkeitstreue und Behördenhörigkeit / Bauern nach wie vor unzufrieden / CSU–Landrat vergleicht Grünes Programm mit Hitlers „Mein Kampf“

Aus Berchtesgaden L. Koch

„Gei Papa, jetz kimmst nach Bonn und werst Bundesangestellter“, meint die fünfjährige Rosi. „Ja, die rechte Hand vom Kohl werda“, scherzt die Mutter von Hias Kreuzeder, dem grünen Bundestagskandidaten mit dem aussichtsreichen Platz auf der Landesliste, bevor sich der 37jährige Biobauer aus dem Berchtesgadener Land auf den Weg macht zur Grünen Wahlkampfveranstaltung, die heute im Gasthof „Zur Post“ in Neukirchen stattfinden soll. Doch beim Postwirt ist es dunkel. Ein Schild im Fenster verkündet „Heute Ruhetag“. Verblüfft stehen die Mitglieder des Grünen Kreisverbands vor verschlossener Tür. „Des häd mi scho gwundert, wenn der de Grünen neiglassn häd, des is doch a ganz Schwarzer“, weiß ein Einheimischer. Aber nicht immer wird der grüne Stadtrat von Freilassing auf diese „hinterfotzige“ Weise boykottiert. Seine „grünen Bauernversammlungen“ sind meist gut besucht, im Schnitt bis zu 80 Leuten, hauptsächlich „natürlich“ Männer. Das war vor einigen Jahren noch anders. „Da hat ma froh sei müssn, wenn fünfzehn Hansln komma san“, erzählt der Hias, der am liebsten grobgestrickte Janker trägt. „Des was Du sagst, des kon ja garned hihaun, weil ihr seids ja fürd Abtreibung und wer soll na des ganze Zeug essn, so und jetz geh i“, ruft ein 60jähriger wenige Tage später bei einer dieser Bauernversammlungen, steht auf, trinkt noch einen letzten Schluck von seinem Bier und verläßt demonstrativ den Saal. So sicher wie auf das Amen in der Kirche können die grünen Wahlkämpfer auf ihren Veranstaltungen damit rechnen, mit der grünen Forderung nach Abschaffung des § 218 konfrontiert zu werden. Die rechte Polemik war nicht umsonst und man kämpft mit harten Bandagen: Auf einer anderen Wahlveranstaltung hat der Miesbacher CSU–Landrat Wolfgang Gröbel das Programm der Grünen mit Hitlers „Mein Kampf“ verglichen, was ihm eine Verleumdungsklage der bayerischen Grünen einbrachte. „Feigling, zerscht recht gscheid daherredn und dann geh, damits deine Vorurteile behälts“, versucht Hias Kreuzeder auf den theatralischen Abgang des Zuhörers zu reagieren und zu erklären. „In Schweden und Norwegen gibt es den Paragraphen schon seit Jahren nicht mehr und die Zahl der Abtreibungen ist trotzdem um 20 gegangen.“ Dieses Beispiel stimmt die Bauern nachdenklich. Aber Kreuzeder packt sie auch bei ihrer Ehre. „Die Grünen lehnen es ab, daß die Frau allein bestraft wird, es gibt keine Abtreibung, wo der Mann nicht zu 50 Zentrales Thema seiner Ver sammlungen ist jedoch die Landwirtschaft. Der erste Bravoruf kommt, als er seine Zuhörer auffordert, dem Bauernverband die Beiträge zu sperren, bis dieser wieder für die kleinen Bauern eintritt. „Ihr wollts doch die Bauern enteignen“, startet ein Kreisobmann des Bauernverbands seinen Angriff. Doch den Oberbayern erschüttert das nicht. „Was bedeutet denn des Gerede der Politiker vom natürlichen Strukturwandel, von Milchrente, Vorruhestandsregelung, Flächenstillegung anderes als Aufhörn und Enteignung“, kontert er. „Bazi, Verbrecher“, tönt es aus den hinteren Reihen, als der Kreisobmann nochmals aufsteht. Immer wieder stört der schon etwas Angetrunkene die Versammlung. Nachdem die Bauern Kreuzeder zu verstehen gegeben haben, es sei doch seine Versammlung und seine Angelegenheit, sich um diesen „Spezi“ zu kümmern, greift der Kandidat zur Selbsthilfe. „Gewaltfrei“ befördert er den Streithansl vor die Tür. Damit hat er die Sympathie der Bauern restlos gewonnen. Ob die Grünen, wenn sie an der Macht wären, denn verhindern könnten, daß im nächsten Jahr, wie Kreuzeder den Bauern vorrechnete, weitere 40.000 bäuerliche Betriebe schließen müßten, will ein junger Mann wissen. „Do konnst sicher sei, weil da bin i Landwirtschaftsminister“, scherzt Hias. Aber dann wird er wieder ernst. „Solangs ihr alle vier Jahr bloß a Kreizl machts und ab und zu am Stammtisch schimpfts, habts keine Chance“, appelliert er an das Engagement der Bauern, ihre Angelegenheiten nicht zu delegieren, sondern selbst in die Hand zu nehmen. „Dann wählns doch CSU“ Dabei spart er auch nicht mit Kritik an der eigenen Partei. „In meiner Stadt Freilassing ham ma tausend grüne Wähler und fünf oder sechs aktive Grüne und so wenns weidageht ham ma 30 % Grüne in de Parlamente, aber koa Kontrolle, des hoaßt de wern genauso behäbig und abschmierbar wia de Politiker, de ma zur Zeit ham“. Die anwesenden Grünen schauen bei diesen Äußerungen ihres Kandidaten recht betreten drein. Im Bundestag sind die Bayern derzeit mit vier Abgeordneten vertreten. Wenn alles gut geht, werden es nach der Wahl sogar sechs sein. Eisiges Schweigen herrscht im Raum, als Kreuzeder die Verschuldung der Bauern anspricht. Mit 5.000 Mark pro Hektar sind die bäuerlichen Betriebe verschuldet. Im Landkreis Altötting zahlen 25 Zinsen und in der Holledau sind 15 Misere reden, wieviel Schulden der einzelne bereits am Hals hat, das passiert nur selten. „Es gibt in Bayern zwei Fruchtfolgen: die erste is Vollerwerb, Zuerwerb, Nebenerwerb, aufhörn, das is der bayerische Weg und die zwoate hoaßt: König, Kaiser, Franz Josef und so lang die Leit am Land so obrigkeitstreu und so behördenhörig san, ändert se nix“, versucht er die Bauern zum Abschluß nochmal aufzurütteln. Den Erfolg seiner Arbeit mißt er daran, daß fast jede Woche Bauern aus ganz Bayern und sogar Hessen seinen Hof besuchen und sich über den Landbau informieren wollen. „Dann hat sichs rentiert“, meint er. Seine Prognose für das Abschneiden der Grünen ist eher optimistisch. „Und dann wählns doch wieda CSU, weils moana, daß sonst ned in Himmi kemma“, ist seine Mutter dagegen skeptischer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen